Kindswut
Mord.«
Ich sprach gegen glatte Wände ohne Fuge und Ritze. Ich zog die Zeichnungen aus meiner Jackentasche und präsentierte das Bild von Martha. »Das sind unverkennbar Sie, Frau Maibaum. Wer ist dieser Mann am Galgen?« Immerhin hob sie jetzt die linke Augenbraue, sagte aber immer noch nichts. Sie hatte Nerven. Eine hartgesottene Frau. »Ich will Sie aufklären. Oder willst du das machen, Barbara?« Barbara konnte herrlich ordinär sein, gepaart mit unerträglicher Arroganz.
»Jetzt hör mal zu, du Fotze, dieser Mann am Galgen wurde in der Wohnung der Frau Stadl, die du ja kennst, du mieses Stück Dreck, in deiner Anwesenheit und unter deiner Mithilfe an diesem Galgen zu Tode stranguliert. Anwesend war noch Frau Körner, die wenig später ermordet wurde. Man fand sie in der Spree in der Nähe der Oderbaumbrücke. Zerfetzt von Messerstichen. Anwesend war außerdem eine gewisse Martha, die diese Zeichnung angefertigt hat nach der Tat. Sie wird alles bezeugen. Ein Arzt hatte, ohne zu fragen nach dem Wie und dem Warum, wie selbstverständlich den Totenschein ausgestellt. Der Tote wurde von zwei Leichenbestattern abgeholt. Wer ist der Tote? Wer war der Arzt? Wer waren die Leichenbestatter? Und anwesend war der Sohn der Frau Stadl, Philip, der nach dem Mord, den er in einem Schrank sitzend miterlebte, die Wohnung verlassen hat.«
Frau Maibaum war jetzt nicht mehr so selbstsicher. Sie rang sichtbar um Fassung. Der Türsteher Boris erschien. Das erleichterte sie.
»Ja?«
»Schmeiß die beiden raus!« Sie zeigte auf mich und Barbara. Ihre Stimme war schneidend. Der Hüne baute sich vor uns auf. Er war ein imposantes Muskelgebilde. Sein Kopf wirkte seltsam klein und verloren auf dem überdimensionierten Körper. Ähnlich den Köpfen der Söldner von Urs Graf aus dem 30-jährigen Krieg, deren Gemächt in ausladenden, mit Blumenmotiven bestickten Sackhaltern hing und dort gewaltig zur Geltung kam.
»Kommen Sie.« Wir rührten uns nicht.
»Schmeiß sie raus!«, schrie Frau Maibaum plötzlich. Ihre Stimme überschlug sich fast. Schlagartig herrschte völlige Stille. Der Rausschmeißer machte sich mit beiden Händen an meinem Jackenrevers zu schaffen. Er war einen halben Kopf größer als ich. Gegen meinen Willen angefasst zu werden, versetzte mich schlagartig in Raserei. Der Hüne rechnete mit keinem Widerstand. Ich verpasste ihm mit aller Kraft einen Stoß. Er verlor den Halt, taumelte rückwärts, krachte in die Front der Schmerbäuche, ging zu Boden und riss etliche Wänste samt Damen mit sich. Ein volles Tablett ging in die Brüche. Aufschreien, hysterisches Gekreische, Fluchen ertönte, Gestöhne. Die Stimmen überschlugen sich. Der Hüne kam wieder auf die Beine. Er war in Rage. Er wollte sich mordlüstern auf mich stürzen. Endlich durfte er zeigen, was in ihm steckte. Diese langweiligen Schmerbäuche jede Nacht! Puddingkram.
»Ich mach dich fertig!«, brüllte er. Breitbeinig stand er da. Ich kam nicht dazu, ihm mit dem Schuhspann in die Eier zu treten, um ihm dann, wenn er vor Schmerz nach vorne kippte und sich mit beiden Händen in den Schritt griff, wo das Feuer lohte, den finalen Schlag auf die Kinnspitze zu verpassen. Er würde mit ausgelöschtem Ausdruck auf die Knie sinken, kurz verharren, › Wo bin ich? Wie ist mir? ‹ fragen. Seine Augen würden ziellos irren, bis dann der ganze Kerl endgültig vornüber auf sein Gesicht kippte. Er lag vor mir. Mit ausgebreiteten Armen und Beinen. Diese Fantasie hatte ich, aus heiterem Himmel überfiel sie mich, wie ein gewalttätiger Gast, der unerwartet an die Türe klopfte und mir zu Hilfe eilen wollte. Wir kamen nicht zum Zuge.
»Polizei!« Es war die Kippendreherin. Sie hielt einen Polizeiausweis in ihrer Hand. »Hauptkommissarin Glück. Morddezernat.« Sie hatte ihre Jacke zurückgeschlagen. Man sah darunter das Lederhalfter. In dem Halfter steckte eine Pistole. Kein Laut war mehr zu hören. Mit einer Hauptkommissarin hatte ich nicht gerechnet. Mir fehlten die Worte. Barbara blieb ganz kühl. Das alles beeindruckte sie nicht.
»Fritz, du hast doch noch mehr Zeichnungen.« Ich gab sie der Kommissarin. Sie schaute sich die Zeichnungen an. Dann Frau Maibaum.
»Kennen Sie die Frauen und die Männer hier?« Frau Maibaum antwortete nicht.
»Dieser Kronleuchter hängt in der Wohnung der Frau Stadl«, erläuterte ich.
»Interessant.« Sie verschwand in einem Nebenraum. Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück. »Frau Maibaum, ich verhafte Sie wegen des dringenden
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