Kindswut
wollte, nach all der Mühe, die er sich um sie gemacht hatte, dass sie ihn, einzig nur ihn meinte. › Es kann nicht sein, dass ich es bin! ‹ , rief der Bruchpilot voller Pathos. › Du solltest im Varieté auftreten ‹ , lästerte Maria.
Den Kerl da vor mir im Spiegel fand ich gar nicht so übel. Ich winkte mir zu. »Hallo, Kumpel.« Tiefe Stimme, leicht rauchig. Der Klang von Blues, Gitanes und langen Nächten. Fritz, du hast einen Knall. Ich holte aus dem Badezimmer einen Bademantel, zog ihn an, ging in die Küche und machte mir endlich einen Kaffee. Wir waren den Abend zuvor gegen zwei Uhr im Studio 2 angekommen. Auf dem Weg dahin waren wir stehen geblieben, einfach so, vielleicht hing ja auch ein geheimes Zeichen in der Luft, das wir erst jetzt sahen, nach all den Jahren, die wir uns kannten. Wir wandten uns einander zu, wir schauten uns in die Augen und wir küssten uns. › Warum nicht gleich? ‹ , hauchte Barbara zwischen den Küssen. › Warum nicht gleich? ‹ Ein Käuzchen schrie. Es war wie im Kino. Es schrie ein zweites Mal. Barbara hielt die Augen geschlossen. › Mehr! ‹
Ich dachte an die Schmetterlinge. Die Nacht musste voll sein mit ihnen. Ich küsste ihre geschlossenen Augen. › Nie aufhören! ‹ Ich nahm sie in die Arme und drückte sie so fest, als müsste ich Steine sprengen. › Fritz, nicht so fest! ‹ Sie lachte. › Ach, Fritz. Du! ‹ Wir hätten nicht vom Fleck weichen sollen. Das Studio 2 entpuppte sich als Ekelprogramm. Die Gäste standen dicht an dicht. Das Fett der wohlgenährten, älteren Herren wurde in den zu engen Jeans über die Gürtellinie geschoben. Unter den eng anliegenden Hemden bildeten sich wabernde Wülste, eingeschnürten Rollschinken nicht unähnlich. Diese Galane waren behangen mit dicken Goldketten, mehrfach um den Hals geschlungen wie um die Kehle einer satten Mastsau kurz vor der Schlachtung. Schwere Ringe an den Fingern, die Rolex am Handgelenk. Letztes, gigantisches Abspritzen im Studio 2, finaler Lustschrei, wenn der Bolzen ins Hirn krachte, das Messer die Kehle spaltete, das Blut in die Wanne floss, ein letztes Röcheln. Hosianna, frohlockten die Metzgerinnen, oh du gewinnbringender, knuddeliger Schweinebacken! Keiner unter 50, die meisten weit über 60. Manche im Stadium der Mumifizierung. Pergamenthäutig. Sie waren verteilt auf mit rotem Samt bezogenen Sofas und Plüschsesseln. An den Wänden hingen Gipsputten, die selig lächelten und ihre Speckärschlein reckten, überall Spiegel im barocken Goldrahmen, die das Schinkentreiben einfingen und widerwarfen. An den Wänden kleine Kristalllüster, die in den Spiegeln funkelten und blitzten, überall Kerzen, überall diese schwitzenden Schinken, an der Bar, auf Barhockern, auf der Tanzfläche. Zwischen ihnen charmierten attraktive Frauen, die meisten Anfang 40, mit jenem Blick in den Augen, der auch den Toten das Leben versprach. Es herrschte lautes Stimmengewirr. Barbara und ich schauten uns um. Es gab keine freien Plätze, alle standen dicht gedrängt. Auf der Tanzfläche wogte es. Hackbraten, dachte ich, Sülze, Schwarten, Presskopf, Saumagen. Die Stimmung war angespannt, hektisch, aufgeladen. Ich entdeckte Frau Maibaum. Zu meiner Überraschung stand die Frau vom Friedhof bei ihr, die so flink mit einer Hand ihre Kippen drehte. Die beiden sprachen miteinander.
»Komm!« Barbara und ich quetschten uns durch zu ihnen. Es war mühsam. Ich erklärte Barbara kurz, wer die beiden waren. Barbara wusste über Frau Maibaum nach dem Besuch bei Martha und Ludwig bereits hinreichend Bescheid. »Was weißt du über die andere?«
»Nichts. Sie weiß mehr, als sie rauslässt, da bin ich mir sicher.« Wir waren angelangt. »Guten Abend, Frau Maibaum.« Sie zuckte mit keinem Wimpernschlag. Sie hatte sich voll im Griff.
»Ach, Sie!«
»Ich wurde auf der Beerdigung Ihres Mannes entführt.« Sie reagierte nicht. »Hatten Sie das veranlasst?« Sie blies mir den Rauch ihrer Zigarette ins Gesicht. »Verschwinden Sie. Samt Ihrer Begleitung.« Sie schaute sich um. Eine Bedienung schleppte ein volles Tablett mit Bieren vorbei. »Ilse, schick doch mal Boris. Es gibt Ärger.« Boris musste der Kleiderschrank sein, der am Eingang des Studio 2 stand. Die Kippendreherin war nicht minder kühl. Keine Regung in ihrem hageren Gesicht. Ich nickte ihr zu.
»Schön, Sie wiederzusehen. Das hier ist Frau Doktor Vogelweide. Wir kommen von einem aufschlussreichen Gespräch direkt hierher. Es handelte sich um Mord und Beihilfe zum
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