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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Verdachtes auf Mord und Totschlag. Der Haftbefehl wird ausgestellt.« Es herrschte immer noch atemlose Stille. Einige Gäste wollten sich davonstehlen. »Niemand verlässt das Lokal!« Die Kommissarin hatte Verstärkung angefordert. Wenig später war das Studio 2 voll mit uniformierten Polizisten und Kripobeamten. Der mit dem Mundgeruch und der Gelbgesichtige waren auch darunter.
    »So sieht man sich wieder«, grinste er mich an. Die Personalien der anwesenden Gäste wurden aufgenommen. Es waren zu viele, um sie alle im beengten Studio 2 einem Verhör zu unterziehen. Die Kommissarin wollte wissen, wer von den Gästen die Männer und Frauen auf den Zeichnungen kannte. Sie erwartete Hinweise auf die dargestellten Personen. Die Gäste wurden verdonnert, sich unverzüglich, trotz der vorgerückten Stunde, ins Kommissariat in der Keithstraße zu begeben. Ein Murren hob an. »Wer nicht erscheint, hat mit Konsequenzen zu rechnen.«
    Frau Maibaum wurde abgeführt. Sie war aschfahl unter ihrer grellen Schminke.
    »Ich kann Sie mitnehmen.« Barbara und ich fuhren mit der Kommissarin zur Dienststelle. Die Show nahm kein Ende. Nach und nach trudelten die Studio 2-Gäste ein. Es war sehr merkwürdig. Manche der Gäste in den zu engen Jeans waren verwirrt. Ziellos irrten sie durch die Gänge des großen Gebäudes. Es waren zu viele, um sie alle kontrollieren oder gar wegsperren zu können. Manche wurden von Frauen begleitet, die, grell geschminkt, in ihrem glitzernden Fummel einen seltsamen Kontrast zu ihren Begleitern bildeten, die wie Segelschiffe aus fremdartigen Kontinenten unter falschen Flaggen durch die Gänge schwebten. In ihrer Aufregung sinnlos vor sich hinbrabbelnd. Kein Halt mehr unter ihren Füßen. Polizisten fingen sie ein wie aufgeschreckte Karnickel. Mit aller Geduld, deren sie fähig waren. Man brachte sie in Zellen, die bald überbelegt waren. Einige der Männer bekamen Angstanfälle, schrien, weinten. Trunkenbolde, Huren, Verkehrssünder, Taschendiebe wurden in andere Zellen umgelegt und dort auf viel zu engem Raum eingepfercht. Es herrschte bald Platzmangel. Laute Proteste, wüste Beschimpfungen, obszöne Pöbeleien, wüstes Gekeife waren die Folge.
    »Nur vorübergehend«, versuchten Polizisten sie zu beschwichtigen. Es fruchtete nichts. Das Geschrei nahm kein Ende. Es war das reinste Höllenkonzert. Barbara und ich standen mitten in dem Gewühle, das durch einen breiten, langen Gang tobte und sich auf verschiedene Zimmer verteilte, wo die Vernehmungen begannen. Die Beamten waren nicht minder konfus als die Leute aus dem Studio 2.
    Mein Handy klingelte. Ich hob ab. »Siiieeeeee«, kreischte es, »Siiieee staunen wohl!« Eine Lachsalve tobte sich aus. Es war die Stimme von Frau Stadl. »Philip, der allerliebste Sohn, existiert nicht! Es hat ihn nie gegeben! Er ist eine Erfindung! Eine Fantasie kranker Gehirne! So wie Ihr Hirn wahnhaft glaubt, Wirklichkeit erkennen und bestimmen zu können, um sie zu katalogisieren, um sie in Normen zu pressen, um sie immer wieder und unabänderlich als ewige, steinerne Wahrheit anpreisen und an Hohlköpfe verhökern zu können. Philip war nie da! Umso gewaltiger Ihre Aufgabe, den, den es nicht gibt, endlich zu finden! Finden Sie ihn! Wollen Sie meiner vernichtenden Heimsuchung entgehen? Dann finden Sie ihn! Oder Sie werden nicht überleben! Wie den finden, den es nicht gibt? Rätsel! Rätsel! Das ist es! Das ist es! Wann ist es vorbei? Vorbei? Vorbei? Oh Sie Zwerg, Sie! Oh Wichtel mein! So soll es immer sein!« Die Stimme trällerte die letzten Worte auf einer Schlagermelodie. Es war, als wäre gerade ein Wildbach bei Gletscherschmelze an meinem Ohr vorbeigetost. Die Kiekser in der Stimme, die sich vor plötzlich aufbrandender Wut immer wieder überschlug, waren unüberhörbar. Es war Philip, der mir ins Ohr geschrien hatte. Ich war mir dessen vollkommen sicher. Er war aus den Gleisen geworfen. Ich hatte das Handy auf Lautsprecher gestellt. Barbara konnte mithören.
    »Glaubst du mir jetzt, dass es Philip ist, und nicht seine Mutter?« Sie kam nicht dazu, zu antworten. Der Gelbgesichtige und der mit dem Mundgeruch steuerten auf uns zu.
    »Gut, dass Sie da sind.« Sein Atem war die reinste Pestilenz. Ich wandte mich ab und wedelte mir mit einer Hand Luft zu. Auch der Nasenrücken von Barbara kräuselte sich. Es roch nach verrotteten Fischköpfen. Der Gelbgesichtige erbarmte sich unser. »Wir wollten morgen früh bei Ihnen vorbeikommen. Wir können das aber auch jetzt

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