Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
Vom Netzwerk:
er wie Flügel bewegte. Vor der Eingangstüre flog er noch eine Kurve. Mit lautem Krah-Krah. Es war sehr traurig. Ich wollte aus diesem Geschäft aussteigen. Ich besprach es mit Ludwig. Der wollte nicht.« Hier schwieg sie. Barbara und ich schauten Ludwig an. Martha ging an den Herd und setzte Wasser auf. »Will jemand Tee?«
    Ludwig wollte wieder loswippen und sein »I-I-I-I« intonieren. Barbara winkte mit der Plastiktüte. Ludwig verstummte augenblicklich.
    »Wieso wolltest du nicht?«
    Man sollte Ludwig wirklich als Kasperl auftreten lassen. Er tupfte mit dem Zeigefinger in die Weinpfütze auf dem Tisch, verzog den Mund immer wieder von einem Ohr zum anderen zu einem Grinsen, machte »Oh, Oh!«, streckte die Zunge heraus und wackelte mit dem Kopf. Zu einer Aussage war er offensichtlich nicht bereit. Martha hatte den Tee aufgegossen und stellte Tassen auf den Tisch. In einem weißen Porzellankännchen brachte sie Milch. Dazu stellte sie einen Teller Zwieback und in einer blauen, geblümten Blechdose gelben Kandiszucker. Sie verteilte die Tassen, legte Zuckerlöffel daneben und goss den Tee ein. Wir taten Kandis in den Tee. Ein umfassendes Rühren mit den Löffeln begann. Es war ein nettes, kleines Konzert. Es gab Löffelrührer, die rührten und klopften abwechselnd unermüdlich mit dem Löffel auf den Rand der Tasse, bis das Getränk, meist Kaffee oder Tee, kalt war. Es gab auch solche, die den Rand der Tasse beim Rühren mieden, weil sie das Geräusch nicht mochten. Sie klopften auch nur ganz leise auf den Tassenrand, als würden sie zaghaft um Eintritt bitten.
    »Ludwig, jetzt äußere dich mal!« Ludwig sah an mir vorbei, als wäre hinter mir ein Überraschungsgast aufgetaucht. »Hallo! Ich meine, was ist denn schon passiert? Ein Mann stirbt, ein Arzt stellt den Tod fest, der Tote wird abtransportiert. Fertig ist die Kiste. Soll ich deswegen meine beste Einnahmequelle aufgeben?« Ein empfindsamer Lyriker, der in seinen Jackentaschen nach Gedichten haschte, war er in diesem Moment nicht. Eher ein Wicht, dem man die spitze Nase platt klopfen sollte.
    »Die Stadl war deine beste Einnahmequelle. Präzisiere das doch mal.« Ludwig verzog sein Gesicht in bekümmerte Falten und presste den Mund fest zusammen. Er mied meinen Blick.
    »Der Krach mit der Stadl. Was war da?« Ludwig war nicht bereit zu irgendwelchen Auskünften. Martha übernahm wieder das Wort.
    »Ich wollte aussteigen. Ludwig war dagegen. Aus bekannten Gründen. Ich hab’ es trotzdem gemacht. Ich habe ihr gesagt, Schluss und basta. Sie rastete total aus, beschimpfte mich, drohte damit, uns beide zu vernichten. › I kill you, I kill you‹, tobte sie. Ich blieb stur. Ich drohte ihr ebenfalls. Plötzlich wurde sie zuckersüß. Sie bot mir einen anderen Job an. › Sie können doch im Studio 2 präparativen Dienst versehen. ‹ So nannte sie das. Ich hatte keine Ahnung, was das Studio 2 war. Von einem präparativen Dienst hatte ich auch noch nichts gehört. Eine Ahnung hatte ich.« Sie war ganz atemlos beim Sprechen geworden, so quoll es aus ihr heraus. Sie schwieg.
    »Kannst du uns aufklären?«, fragte ich sie.
    »Das ist eine Bar. Da werden betuchte ältere Herren und attraktive Damen ab 40 zusammengeführt. Ziel ist das Vermögen dieser Herren. Da kommen uralte Knacker hin, die kaum noch laufen können. Die werden aus Altersheimen regelrecht herangekarrt. Das ist alles durchorganisiert. Kopf von dem System ist die Stadl. Hat mir alles die Körner erzählt. Sie wollte Teilhaberin werden. Die Stadl dachte nicht im Traum daran, sie zu beteiligen. Es gab einen Riesenkrach zwischen den beiden. Kurz vor dem Tod der Körner.« Hier schwieg Martha. Sie rührte bedeutungsvoll in ihrer Teetasse herum. Betont langsam tat sie das, als wollte sie auf dem Grund der Tasse nicht noch mehr Schlamm aufrühren. »Wenn die Körner ausgepackt hätte, wäre die Stadl dran gewesen.« Sie schaute Barbara und mich vielsagend durch halb geschlossene Augenlider an. Es sah fast verrucht aus. »Ihr versteht doch, was ich meine?« Barbara und ich nickten.
    »Natürlich.«
    »Es war nicht der erste Tote, ließ die Körner durchblicken.« Martha hatte immer noch diesen verhangenen Schlafzimmerblick. Barbara wippte mit den Knien. Marthas und Ludwigs Getue nervte sie. Es vergingen wieder einige Minuten. Wir saßen auf unseren Stühlen wie Fremde im Wartezimmer einer Arztpraxis.
    »Wie hieß der Arzt, der den Totenschein ausstellte?«, durchbrach Barbara die Stille.
    »Fällt mir im

Weitere Kostenlose Bücher