Kindswut
keine Toten gegeben und als hätten sich keine furchtbaren Dinge ereignet, für die dieses meinen Lachs mampfende Monster verantwortlich war. Sie war höchst lebendig. Ihr Gebiss knackte laut beim Kauen des Gürkchens. Ich schob ihr den Teller zu. Ich hatte genug.
»Das wäre nicht nötig gewesen. Sie haben ja noch gar nicht angefangen.« Sie grinste. Wie sie bei unserer ersten Begegnung, als sie sich über mein Dänisches Frühstück hergemacht hatte, auch gegrinst hatte. Diesen Kampf hatte sie gewonnen. Sie genoss es. »Wie geht es Philip?«
Sie häufte die Gabel wieder gewaltig voll und schaufelte sie in sich hinein. Sie hatte kräftige Kaumuskeln, die beim Kauen unter der Haut rauf und runter wieselten wie fette, kleine Hunde, die gierig auf und ab sprangen. Meine Antwort wartete sie erst gar nicht ab. Nach einer weiteren Gabelfuhre, sie belud die Gabel geschickt und schnell, fuhr sie, heftig kauend, fort: »Ich war in der Wohnung. Da ist er nicht. Alles war so aufgeräumt. Ganz seltsam! Sie wissen ja, Philip ist lieb, aber schwierig!« Sie nickte bekümmert, widmete sich aber schnell wieder dem Teller vor ihr. Ihre starken, schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen. Der gerade Nasenrücken stand wie ein aufrechter Befehl in ihrem Gesicht. Mein ist dein Wille. Der Mund geschwungen wie zwei Flügelpaare. Schwingen, unter die der Wind griff. Abflug! Ihre langen, schwarzen Haare, von grauen Strähnen durchzogen, hatte sie zu einem Knoten gebunden, in dem ein rötlicher Kamm aus Horn steckte. Die Frau war gebündelte Energie. Eine Dampfwalze, die alles niederrollte. Platt machte. Einebnete. Sie legte plötzlich Messer und Gabel nieder und schaute mich aus ihren grünen Augen an. In ihnen war ein seltsames Glimmen. Sie beugte sich vor zu mir. Ihr Gesicht berührte fast meines. Ich roch wieder ihr Parfum. Es war Hermes. Es passte zu ihr.
»Sie waren doch lieb zu Philip?« Sie legte ihre Hand auf meine. Ihre Haut war kühl und sehr trocken. Mich fröstelte leicht. Sie zog ihre Hand zurück. Ihr Gesicht auch. Sie hatte große Hautporen um die Nase. Sie saß wieder kerzengerade, schaute mich aber unverwandt an mit ihren glimmenden Augen. Der Blick erinnerte mich an den einer Wölfin.
»Ich weiß nicht, wo er ist.«
Sie sprang vom Stuhl auf. »Sie wissen nicht, wo er ist?« Sie breitete pathetisch die Arme aus, schaute in den Himmel, rang mit den Händen, ein Stöhnen wand sich aus ihrer Brust. Keine Operndiva konnte es besser. »Er weiß nicht, wo mein Philip ist.« Dann setzte sie sich wieder, schmunzelte und widmete sich erneut dem Quark. Ein weißer Schnurrbart zierte ihre Oberlippe, den sie mit der Zungenspitze wegwischte. Ihre grünen Augen glimmten nicht mehr, sie funkelten. »Wissen Sie, was Mutterglück ist?« Der rote Lachs balancierte auf ihrer rosa Zunge, die sie weit herausgestreckt hatte. Sie hatte das Lachsstück mit der Gabel auf ihr abgelegt wie auf einer Waage. Schlupf, weg war der Lachs blitzschnell, keine Zunge eines Chamäleons war schneller. »Wenn Mütter sich aufopfern für ihre Kinder. Schrankenlos. Mutterglück unlimited.« Sie ist ein Chamäleon, ging es mir durch den Sinn, das ständig die Farben wechselt. Zwischen Hexe, Monster und mörderischem Muttertier. Für niemanden fassbar.
»Wie geht es Frau Körner?«, gelang es mir zu fragen, ehe sie ihre Oper ›Lachs, Quark, Mutterglück und Sohn‹ fortsetzen konnte. Sie sah mich verdutzt an. »Woher kennen Sie die denn?«
»Und Frau Maibaum, was macht die?«
»Die Maibaum kennt er auch!« Sie schlug vor Begeisterung mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Gabel fortsprang, die sie noch in der Hand gehalten hatte.
»Ihr Sohn Philip hat Attentate auf mich verübt und am Telefon Ihre Stimme imitiert!«
»Jetzt ist er ganz durch geknallt!«, krähte sie.
»Frau Körner wurde von Philip ermordet und Fricke, Ihr Geschäftspartner, ist auch tot!« Sie amüsierte sich königlich. »Philip hat seine Jugend im Schrank verbracht und der Tortur Ihrer Klientel beigewohnt. Alte Männer, die Sie verkuppelten!«
»Sie sind ja irre!«, kreischte sie vor Vergnügen. »Sie haben eine sagenhafte Fantasie! Sie sollten Märchenerzähler werden.« Dabei verschluckte sie sich. Sie hatte sich gerade wieder ein Gürkchen eingeführt. Sie beugte sich über den Teller, um das Gürkchen hervorzuwürgen. Es half nichts. Sie schnappte gierig nach Luft. Es wurde eng in ihrem Hals. Jetzt hatte ich es in der Hand. Ich konnte sie ersticken lassen. Vieles regelte
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