King of the World
Schramme seines Kämpfers, doch in der dritten Runde wurde sie zu einer offenen Platzwunde. Clay kam flachfüßig heraus, um für seine härteren Schläge einen besseren Stand zu haben, und binnen einer halben Minute machte er sich wie ein Bildhauer, der sich einen Marmorklotz vornimmt, daran, das Auge zu bearbeiten. Beinahe jedesmal ließ er seinem Jab eine klatschende Rechte folgen, die von Listons Kopf abprallte – den gleichen Schlag, von dem Archie Moore gesagt hatte, er habe »seine Gedanken getrübt«. Nach einer Kombination bekam Liston weiche Knie und ging um ein Haar zu Boden. Liston schaffte es, sich auf den Beinen zu halten, die Seile zu packen und sich zu stabilisieren, doch nun gab es wohl keinen mehr in der Arena oder unter den Zuschauern in den Kinos, der nicht davon überzeugt war, daß Clay den Kampf vollkommen dominierte.
»Komm schon, du Nulpe«, schrie Clay durch den dämpfenden Mundschutz.
So eine Dreistigkeit! Sekunden nach diesem höhnischen Ausruf ging Liston auf Clay los, doch der wehrte jeden Körperschlag mit Ellbogen und Handschuhen ab, genauso wie er es sich gegen »Shotgun« Sheldon wochenlang im Sparring beigebracht hatte. Das Blut floß bei Liston jetzt nicht nur aus der Wunde unterm Auge, sondern auch noch aus der Nase.
»Zu Beginn der dritten Runde sah ich seinen Gesichtsausdruck, wie erschüttert er war, daß wir immer noch da waren und er derjenige war, der eine Wunde hatte und blutete«, sagte Clay später. »Er wußte nicht, was er tun sollte. Aber ich wurde dabei nicht unvorsichtig wie Conn damals gegen Joe Louis. Es sollte eigentlich eine meiner langsameren Runden werden, aber die Zeit konnte ich mir nicht nehmen. Ich brauchte noch einen guten Treffer, mußte bei seinem Auge auf Nummer Sicher gehen. Also testete ich erst mal, als der Gong ging, ob er schon müde wurde, das war so, und dann drängte ich ihn gegen die Seile. Ich brauchte bloß eine gute Kombination. Meine Linke ging voll auf sein rechtes Auge, und eine Rechte unter sein linkes öffnete einen tiefen Riß. Ich wußte, der war tief, das Blut spritzte nur so heraus. Ich sah sein Gesicht von ganz nah, als er mit dem Handschuh über den Riß fuhr, und sah das Blut. In dem Augenblick, das sage ich Ihnen jetzt, sah er so aus, wie er in zwanzig Jahren mal aussieht.«
Der Gong beendete die dritte Runde, und Liston trottete in seine Ecke zurück. Er ging wie einer, der sich inmitten von Schneewehen verirrt hat. Er war völlig erschöpft, nicht nur davon, daß er hinter Clay herjagen mußte, sondern auch von den vielen eigenen Schlägen, die ins Leere gegangen waren.
»Die Schläge, die danebengehen, die machen einen fertig«, sagte Dundee. »Gehen genug daneben, macht einen das nachund nach im Kopf und auch körperlich fertig.« Jack Nilon spähte durch die Seile zu Liston hin. Liston saß auf seinem Hocker und atmete so schwer, daß er kaum mehr als zwei Wörter auf einmal sagen konnte. Seine Lungen pumpten wie ein Blasebalg. Er blickte hoch in die Scheinwerfer. Joe Pollino bearbeitete ihn. Die beiden Männer wechselten Worte. Niemand am Ring konnte sie hören.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich im Kampf einen Vorteil zu verschaffen, und die Trainer kennen sie alle. Einer der großen – und nie bewiesenen – Boxmythen ist, daß Jack Dempseys Leute ihm die Hände in Gipsverbände wickelten und ihm sagten, er solle eine Faust machen; dann tauchten sie die Hände in Wasser, ließen sie trocknen und zogen die Handschuhe drüber. Derart ausgestattet, zerschmetterte Dempsey Jess Willard die Hälfte seiner Gesichtsknochen. Andere Trainer, die weniger extrem gestimmt waren, versuchten, die Wattierung des Handschuhs von den Knöcheln herab Richtung Handgelenk zu ziehen, so daß der Treffer desto härter wurde.
Und so sagte denn Liston nach der brutalen und frustrierenden dritten Runde zu seinem Trainer Pollino, er solle sich auf ihren ganz speziellen Vorteil besinnen. Die Beweise sind vom Hörensagen (Liston, Pollino und Reddish sind alle tot), aber so zuverlässig, wie im Boxen überhaupt nur möglich. »Das ist ganz einfach«, sagte Jack McKinney, der Reporter der
Philadelphia Daily News
, der Liston und Pollino sehr nahe stand. »Unmittelbar nach dem Kampf redete sich Joe, mit dem ich gut befreundet war, mir gegenüber alles von der Seele. Er sagte mir, Sonny habe ihm gesagt, er solle was auf die Handschuhe tun, was er auch tat. Darüber hinaus sagte er auch noch, daß sie das
immer
getan hätten, wenn Gefahr
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