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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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also ständig herumlaufen und Liston mit seiner linken Geraden so lange von sich abhalten, bis die Lösung aus seinen Augen gewaschen war. Clay erhob sich, richtete sich auf und ging langsam los.
    »Da hat sich Angelo sein Geld wirklich verdient«, sagte Pacheco. »Er sagte: ›Du gehst da raus und läufst.‹ Das war gefährlich, aber als der Gong dann ertönte, war er ja nicht völlig blind. Man braucht nicht beide Augen, um sich von Liston fernzuhalten. Man braucht eines und zwei gute Beine. Sonny hatte sein Pulver schon verschossen.«
    Leicht gesagt für Pacheco. Clay ging mit brennenden Augen und wie verrückt blinzelnd in die fünfte Runde. Er konnte seinen Gegner nur in verschwommenen Konturen sehen. Liston stürmte sofort auf Clay los. So müde er auch war, wußte er doch genau, daß das nun seine Chance war. Clays einzige Hoffnung war, immer in Bewegung zu bleibenund den »Zollstock« zu benutzen – er streckte die Linke aus und versuchte, sie in Listons Gesicht zu halten, als Meßstab wie auch als Ablenkung.
    »Ich hab nur gebetet, daß er nicht dahinterkam, was los war«, erzählte Clay Alex Haley. »Aber er mußte einfach sehen, daß ich blinzelte, also haute er mir eine schwere Linke an den Kopf und viele Schläge gegen den Körper.« Am Anfang der Runde attackierte Liston insbesondere Clays Körper mit großen, schweren Haken gegen Rippen und Bauch, und viele fanden ihr Ziel. »Ich hab einfach nur versucht, am Leben zu bleiben, und gehofft, daß mir die Tränen die Augen ausspülten. Ich konnte sie nur für einen kurzen Blick auf Liston aufmachen, dann tat es so weh, daß ich wieder blinzelte und sie zumachte. Liston schnaufte wie ein Pferd. Er hat versucht, mich voll zu treffen, und ich bin immer bloß in der Gegend rumgelaufen, weil ich wußte, wenn er einen richtigen landet, kann es gleich vorbei sein.«
    Liston drosch auf Clay ein, und die Runde ging auch an ihn, aber er war einfach zu fertig – und Clay zu geschickt –, um den entscheidenden Treffer anzubringen. Monate später beschrieb Clay im Rückblick auf diese schmerzhafte fünfte Runde, wie es ist, von einem Schwergewichtler getroffen zu werden: »Nehmen Sie einen steifen Ast und schlagen Sie damit auf den Boden, Sie merken, wie die Hand
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macht. Tja, und wenn man getroffen wird, fährt einem so ein Stoß durch den ganzen Körper, und man braucht wenigstens zehn oder zwanzig Sekunden, bis er weggeht. Kriegt man davor wieder einen Treffer, macht es wieder
doingg
… Man ist einfach taub und weiß nicht, was los ist. Man empfindet keinen
Schmerz
, nur dieses Stoßgefühl. Aber ich weiß automatisch, was ich tun muß, wenn mir das passiert, ganz ähnlich, wie so ein Sprinkler angeht, wenn es brennt. Wenn es mich erwischt, ist mir nicht richtig bewußt, wo ich binoder was los ist, aber dann sag ich mir immer, ich muß tanzen, laufen, den andern klammern oder den Kopf tief halten.«
    Genau das tat Clay. Er blieb immer in Bewegung, hielt Liston auf Distanz, und wenn Liston traf, schlang Clay seine langen Arme so um ihn, daß er keinen Wirkungstreffer mehr anbringen konnte. Diese Strategie funktionierte nicht lange, dazu war Liston einfach zu stark, aber sie brachte Clay die zwei, drei Minuten, die er brauchte. Eine halbe Minute vor Ende der Runde wurden Clays Augen wieder klar. Das war der entscheidende Augenblick des Kampfs, der Augenblick, in dem Liston erkannte, daß er den Zeitraum, als sein Gegner geblendet war, nicht genutzt hatte. Liston war ein Rabauke. Im Ring wie auch als Gorilla beim Mob hatte er sich immer auf seine Einschüchterung verlassen, darauf, daß die anderen kniffen. Doch Clay kniff nicht. Und wenn Rabauken, Kämpfer, die von ihren Gegnern immer nur die Kapitulation erwarten, Widerstand spüren, geben sie auf. Viele Jahre später hörte Roberto Duran, als er gegen Sugar Ray Leonard im Ring stand, mitten im Kampf auf und sagte: »
No más
«, statt sich weiter demütigen zu lassen.
    Zur sechsten trat Clay wieder mit klarem Blick und frischem Schwung an. Er verzichtete auf seine Choreographie und machte sich, nahezu die ganze Runde flachfüßig, daran, Liston zu bearbeiten, verdoppelte seine Jabs, brachte Kombinationen, linke Haken, rechte Uppercuts im Clinch – und alle fanden ihr Ziel. Liston hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Er bezahlte nun für jeden Hotdog und Whiskey, für jeden Nachmittag mit den Prostituierten in der Collins Avenue, für jeden Lauf, den er aus Arroganz abgekürzt hatte. Er wußte nun, daß

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