King of the World
herausbekommen hatten, knieten sie nieder und beteten, gemeinsam mit Malcolm X, zu Allah. Als Muhammad Ali betete er dann in den kommenden Jahren vor dem Anfangsgong in seiner Ecke, denKopf gesenkt, die Handschuhe vor dem Gesicht, doch an dem Abend war er noch Cassius Clay, und das wenige, was von seinem Geheimnis noch übrig war, versuchte er zu wahren.
In Listons Kabine herrschte eine zuversichtliche Ruhe. »Sosehr Clay auch Sonny auf die Nerven ging, glaubten wir doch alle, daß der Abend gut verlaufen würde«, sagte einer von Listons Betreuern. Willie Reddish und Joe Pollino streiften T-Shirts mit einer Werbung des Thunderbird Hotels in Las Vegas über. Liston zog weiße Satinshorts mit schwarzem Besatz an und ließ sich von seinen Helfern Handtücher über Schultern und Brust legen, so daß er fast wie eine Mumie aussah. Dann schlüpfte er in seinen Mantel und schlug die Kapuze hoch – den »Scharfrichtermantel«, wie Willie Reddish ihn nannte.
Um zehn Uhr stiegen die Kämpfer in den Ring: zuerst Clay, dann der Champion. Clay hüpfte und jabbte in seiner Ecke, Liston streckte sich, machte sich langsam zur Arbeit bereit. Der Ringrichter, ein massiger Mann namens Barney Felix, stand in der neutralen Ecke, die Wurstarme auf den Seilen. Ein Q-Tip hinterm Ohr, zeigte Dundee Listons Ecke beharrlich den Rücken, sah nur auf Clay und erinnerte ihn unablässig daran, er solle sich, wenn er in die Ringmitte gehe, um sich Felix’ Belehrung anzuhören, aufrecht hinstellen.
»Er wird dich anstarren, versuchen, dich einzuschüchtern«, sagte Dundee. »Zeig ihm, daß du größer bist als er.«
Am Ring begannen Steve Ellis und Joe Louis ihre landesweite Übertragung.
Der Ringsprecher, Frank Waymon, zog das Mikrofon von der Decke herab.
»Guten Abend, meine Damen und Herren! Willkommen in Miami Beach, Florida! Miami Beach Convention Hall!Ich möchte Ihnen gern erst ein paar Boxer vorstellen, die Sie in der Vergangenheit gesehen haben und wahrscheinlich sehen Sie sie auch in der Zuuu-kunft!« Und da kamen sie auch schon: Clays alte Freunde, der ehemalige Meister im Weltergewicht, Luis Rodriguez, und der Meister im Halbschwergewicht – »der tanzende Meister!« – Willie Pastrano. Dann Sugar Ray Robinson in einem todschicken karierten Jackett. Clay verneigte sich zweimal zu seinem irdischen Mentor hin.
»Und nun … der Herausforderer aus Louisville, Kentucky, in weißer Hose mit roten Streifen, er wiegt vierundneunzigeinhalb Kilogramm, der frühere Olympiasieger im Halbschwergewicht … Cassius Clay!«
Das Publikum, so klein es war, erzeugte doch ein beachtliches Pfeif- und Buhkonzert. Clay war unbeeindruckt, hantierte mit seinem Mundschutz und hüpfte, hüpfte auf den Fußballen.
»… und sein Gegner, aus Denver, Colorado, er wiegt neunundneunzig Kilogramm, trägt die weiße Hose mit dem schwarzen Besatz, der Weltmeister im Schwergewicht, Charles … Sonny … Liston!«
Barney Felix forderte die beiden Kämpfer auf, zu der rituellen »Belehrung« in die Ringmitte zu kommen. Wenn der Ringrichter bei einem Titelkampf noch einmal die Verbote aufzählt, also nach dem Gong noch zu schlagen oder auf den Unterleib zu zielen, ist das ungefähr so, als sagte man den Top-Anwälten des Landes, man werde ihnen nun noch einmal die Beweisregeln verkünden; das Ritual ist rein psychologischer Natur. Liston heftete den Blick auf Clay, und egal, wie lax Liston trainiert hatte, nun war klar, daß er nur eines wollte, ihn verletzen. Der Blick konnte nicht anders als vollkommen ernst gemeint sein. In Clay steckte noch die Furcht – »Ehrlich gesagt, ich hatte
Angst
!« –, doch er ließsich nichts anmerken. Er starrte zurück und sah auf Liston
herab
. Das war entscheidend. Er sah auf Liston
herab
und vermittelte damit eine physische Information: Er war schnell, aber er war auch groß. Kurz vor Ende der Belehrungslitanei (»Verstehen Sie das, meine Herren?«) machte Clay zum ersten Mal an dem Abend Liston gegenüber den Mund auf.
Er sagte: »Jetzt hab ich dich, du Drecksack.«
In der Ecke sagte Willie Reddish zu Liston, er solle sich Zeit lassen.
Geh nicht zu schnell auf den K. o. Früher oder später packst du ihn.
Doch wenn Liston in dem Moment eines wußte, dann das, daß er nicht unbegrenzt Zeit hatte, um Clay abzufertigen. Es mußte früher geschehen, nicht später. Er hatte auf sechs, sieben Runden trainiert, höchstens; danach würde es Liston schlechter gehen, er würde merken, wie seine Schultern und Beine
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