King of the World
nicht einmal Betrügereien etwas brachten. Clay hatte geglaubt, es werde wohl acht Runden dauern,bis Liston so müde, so zerschlagen war, doch nun wußte er, daß er sich nicht mehr zurückzuhalten brauchte.
»Einmal«, erinnerte sich Clay, »traf ich ihn achtmal hintereinander, bis er sich vornüber krümmte. Ich weiß noch, daß ich ungefähr dachte: ›So, du alter Drecksack! Und du willst so groß und böse sein!‹ Es war aus mit ihm. Er wußte, daß er nicht mehr weiter konnte … Ich verfehlte ihn mit einer Rechten, die ihn umgehauen hätte. Aber ich hämmerte einen Jab nach dem anderen auf die Platzwunde unter seinem Auge, bis sie weit offen war und schlimmer als zuvor blutete. Ich wußte, daß es nun nicht mehr lange dauern würde.« Kurz vor Ende der Runde schoß Clay zwei linke Haken auf Listons Kopf ab, und es war ein Wunder, daß der Champion da noch nicht zu Boden ging.
»Inzwischen mußte auch dem hartnäckigsten Clay-Zweifler klar sein, daß da etwas Besonderes geschah«, sagte Robert Lipsyte. »Sonnys Gesicht sah grauenhaft aus, und er konnte der scheußlichen Geschichte, die da mit ihm ablief, nichts mehr entgegenhalten.«
Der Gong ertönte, die sechste Runde war zu Ende. Liston ging mit leerem Blick in seine Ecke.
»Jetzt reicht’s«, sagte er und setzte sich hin.
Zum ersten Mal an dem Abend verspürten Pollino und Reddish so etwas wie ein Aufbäumen.
Jetzt reicht’s.
Jetzt würde Sonny sich endlich in den Kampf stürzen, dachten sie. Jetzt würde er diesem Knaben zeigen, daß man nicht mit ihm spielte. Endlich war er wütend genug, um zu gewinnen. Beide Männer machten sich an die Arbeit. Liston hatte über Schmerzen in den Schultern geklagt, also massierten sie ihm die Schultern und den Rücken, sie gaben ihm Wasser und schmierten ihm Vaseline auf die Brauen. Dann setzte Pollino Liston das Mundstück ein.
Liston spuckte es wieder aus.
»Ich … hab gesagt …
jetzt reicht’s!
«
Da begriffen Pollino und Reddish, was Liston meinte. Er hatte aufgegeben. Sie redeten auf ihn ein, sagten, er könne den Titel doch nicht einfach so auf dem Hocker aufgeben, er müsse jetzt gegen Clay kämpfen, den Kampf an sich reißen und gewinnen. Aufgeben war undenkbar, zumal in einem Titelkampf im Schwergewicht. Liston war kein einziges Mal k. o. geschlagen worden, und jetzt wollte er aufgeben? Das letzte Mal, daß ein Schwergewichtler so abgetreten war, war am 4. Juli 1919 in Toledo gewesen, als Willard auf den Gong zur vierten Runde gegen Dempsey nicht mehr reagierte. Willard hatte aber keine Schmerzen in der Schulter und auch keine zwei Platzwunden gehabt; sein Kiefer war gebrochen, seine Rippen angeknackst, und auf der Matte lagen zwei Zähne von ihm.
Liston schien das egal zu sein. Er starrte geradeaus, durch seine Betreuer hindurch.
»Jetzt reicht’s.«
Reddish atmete tief aus und seufzte. »Tja«, sagte er, »dann vielleicht ein andermal.«
Reddish hielt die Hand hoch und winkte. Barney Felix verstand das Signal sofort.
Clay saß auf seinem Hocker und wartete auf die siebte Runde: er hörte das Stimmengewirr der Reporter, konnte Gesprächsfetzen ausmachen, daß ausgerechnet er, dieser absurde Junge, Sonny Liston verprügelte, ist das zu fassen? Clay drehte sich um, beugte sich hinab und brüllte: »Ich werde die Welt erschüttern!«
»Das vergesse ich nie, wie ihre Gesichter da zu mir hoch glotzten, als könnten sie es nicht fassen«, sagte er später zu Haley. »Als der Warnsummer ertönte, sah ich zufällig gerade zu Liston rüber, und ich konnte es nicht fassen, als erseinen Mundschutz ausspuckte. Ich konnte es einfach nicht glauben – aber da lag er. Und dann sagte mir irgend etwas, daß er nicht mehr antrat! Ich stoße einen Juchzer aus und spring von dem Hocker hoch, als wäre er rotglühend. Komisch, aber ich dachte dabei gar nicht an Liston – ich dachte an nichts anderes als an diese scheinheilige Presse. Alle, wie sie da unten saßen, hatten so viel über mich geschrieben, wie mich die großen Fäuste da bestimmt umbringen würden.«
Clay war nun aufgestanden, er hatte die Hände über den Kopf gereckt. Er wußte sogleich, was Reddishs Winken bedeutete.
»Ich bin der König!« brüllte er. »Ich bin der König! König der Welt! Nehmt das zurück! Nehmt das zurück!«
Eat your words. Nehmt das zurück.
Clays Hysterie am Morgen war künstlich gewesen, doch sein jetziger Überschwang hätte echter nicht sein können. Steve Ellis und Howard Cosell hielten ihm fürs Fernsehen
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