Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
Vom Netzwerk:
bzw. Radio ihre Mikrofone unter die Nase, und Clay brüllte nonstop: »Der allmächtige Gott war mit mir! Jeder soll Zeugnis ablegen! Ich bin der Größte! Ich habe die Welt erschüttert! Ich bin das Größte, das je gelebt hat! Ich habe keine Schramme im Gesicht, und ich habe Liston erschüttert, und ich bin gerade erst zweiundzwanzig geworden. Ich muß der Größte sein! Ich hab’s der Welt gezeigt! Ich spreche täglich mit Gott! Ich bin der König der Welt!«
    Red Smith von der
Herald Tribune
, der am Ring saß und Kolumne für Kolumne den jungen Clay angezweifelt und verspottet hatte, konnte den Hohn des neuen Champions deutlich hören.
Eat your words. Nehmt das zurück
. Und nachdem Smith es gehört hatte, begann er zu schreiben: »Niemand hat je ein größeres Recht dazu gehabt. In einem Mund, der noch trocken ist vor Aufregung angesichts der ungeheuerlichsten Umwälzung seit vielen wilden Jahren,schmecken die Worte nicht gut, aber immer noch besser, als sie sich lesen. Die Worte, die hier und praktisch überall geschrieben wurden, bis das Unmögliche zur unglaublichen Wahrheit wurde, besagten, daß Sonny Liston Cassius Clay wie eine Wanze zerquetschen werde …«
    Smith wertete den Kampf überwältigend zugunsten Clays, er gab ihm die erste, dritte, vierte und sechste Runde. Die zweite fand er strittig, und in der fünften war Clay natürlich praktisch blind gewesen.
    Andere dagegen, die Clay verunglimpft hatten, konnten sich nur schwer zu dem Eingeständnis durchringen, daß sie bei ihm falsch gelegen hatten. Dick Youngs Kolumne in der
Daily News
war voller Ressentiments, so als handelte es sich beim Ausgang des Kampfs um eine Verschwörung mit dem Ziel, ihn zu beleidigen. »Wenn Cassius Clay von mir verlangt zu sagen, er sei der Größte, na schön, dann sage ich es«, moserte Young in seinem Artikel, »aber ich sage auch, daß er den größten Rückzugssieg errungen hat, seit die Russen Napoleon in eine Schneewehe lockten. Joe Louis habe ich nie weglaufen und siegen sehen, auch nicht Rocky Marciano, und bestimmt hat mein Vater auch nicht Jack Dempsey weglaufen und siegen sehen, und mein Großvater hat John L. Sullivan nicht weglaufen und siegen sehen. Wenn Cassius also richtig bewertet werden will, dann soll er mal lange genug stillstehen.«
    Clay hatte nicht vor, für überhaupt jemanden stillzustehen. Er hüpfte im Ring herum, Bundini und Dundee neben sich. Er hörte nicht auf zu brüllen und auf die Reporter zu zeigen. Welche Ekstase! »Glühbirnen schienen hinter den großen Lagunen seiner Augen aufzuleuchten, so wie Mondschein Wasser sprenkelt«, schrieb Jimmy Cannon.
    Rocky Marciano, der neben Cannon saß, schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und sagte: »Verdammt, was war dasdenn?« Cannon nahm den Satz als Überschrift für seine Kolumne am nächsten Tag. Cannon räumte ein, Clay habe mit einer »Würde« gekämpft, die er nie erwartet hätte, doch der Grundton seines Artikels war Enttäuschung, Verachtung. Liston hatte ihn im Stich gelassen und damit auch etwas Fremdem und Seltsamem die Tür geöffnet. Als Listons Ecke bekanntgab, er habe aufgegeben, weil seine Schulter nicht mehr hielt, nahm Cannon, wie andere auch, diese Entschuldigung nicht an: »Der alte Gauner, der Clay abschätzig als große Sprechpuppe lächerlich gemacht hatte, erklärte, er habe sich die linke Schulter in der ersten Runde eines Kampfs ausgerenkt, der selbst nach den Maßstäben dieses miesen Geschäfts als eigenartig eingestuft werden muß.«
    Das Publikum in den Kinos im ganzen Land konnte einen Sieg des Underdogs akzeptieren, nicht aber den Anblick eines Champions, zu dem man als dem härtesten Mann auf dem Planeten aufblickte und der dann auf seinem Hocker sitzend aufgab. Im Gefängnis von Jefferson City, wo Liston boxen gelernt hatte, hatte der Direktor einige Fernsehgeräte aufstellen und den Kampf gegen eine Gebühr einspeisen lassen. Als die Häftlinge sahen, daß Liston seinen Titel im Sitzen aufgab, war das Hohngeschrei so laut, daß es noch außerhalb der Mauern durch die kalte Dunkelheit hallte. Zweifellos schmerzten Liston die Schultern. (»Ein so starker Mann kann gar nicht so oft ausholen und vorbeischlagen und sich
nicht
dabei weh tun«, sagte McKinney.) Doch indem Nilon, Pollino und die anderen Betreuer die Schulter als Entschuldigung angaben, erzählten sie eine Geschichte, die, wie sie selbst wußten, nur die halbe Wahrheit war.
    Liston weinte, als Pollino ihn aus der Kabine zu einem Auto geleitete.

Weitere Kostenlose Bücher