King of the World
Er trug den linken Arm in einer Schlinge, und unter dem linken Auge hatte er einen Verband. Auf dem Weg hinaus sagte Liston, die Niederlage erzeuge bei ihmdasselbe Gefühl wie damals, als Kennedy erschossen wurde, doch dann sagte er, sie sei einfach nur »eines der kleinen Dinge, die eben vorkommen können«. Untypischerweise dankte er den Reportern und fuhr davon.
»So widerlich Sonny auch war, bei einer Niederlage war er immer ein Schmusekätzchen«, erinnerte sich Robert Lipsyte.
Liston wurde ins Krankenhaus St. Francis gebracht. Mort Sharnik war der einzige Reporter, der ihn dort erreichte. »Im Krankenhaus lag Sonny Liston auf einem Tisch; er sah aus, als wäre er über Nacht zehn Jahre gealtert«, sagte Sharnik. »Er sah aus wie ein Lastwagenfahrer mittleren Alters, der gerade gegen eine Wand gefahren war. Er hatte überall Schwellungen; an den Augen, im ganzen Gesicht, am ganzen Körper. Er lag einfach nur da, und Nilon tätschelte ihm die Schulter und sagte: ›Den kriegen wir noch.‹ Während die Ärzte Liston versorgten, sagte Nilon, er wolle Sonny einen Job bei Nilon Brothers verschaffen, einer Firma, die bei Baseballspielen Hotdogs verkaufte. Sonny sah aus wie ein Lehmklumpen. Er hatte einfach überall Schwellungen.«
Dr. Alexander Robbins, der Kommissionsarzt, gab bekannt, Liston habe sich an der linken Schulter verletzt, eine Sehne sei gerissen, doch die Frage, die durch die ganze Presse lief, war, ob die Schulterverletzung kampfentscheidend war. Sie war es nicht. »Das war alles Quatsch«, gab einer von Listons noch lebenden Betreuern zu. »Wir hatten mit Clay eine Rückkampfklausel, und wenn du sagst, dein Mann hat einfach aufgegeben, wer gibt dir da noch einen Rückkampf? Wir haben uns das Ding mit der Schulter gleich dort noch ausgedacht.« Die Schulter war wohl verletzt, aber Liston hatte schon schlimmere körperliche Schmerzen ertragen; was er in Miami nicht ertragen konnte, war, noch mehr gedemütigt zu werden.
Als Liston auf seinem Klinikbett saß, sagte er zu Nilon und Sharnik mit einer leisen, rauhen Stimme, die sie kaum verstehen konnten: »Das war nicht der Mann, gegen den ich kämpfen sollte. Der Mann konnte schlagen.«
Alle schwiegen sie nun eine Weile, dann sagte Nilon: »Was machen wir jetzt mit Sonny?«
Jeder, der Liston kannte, befürchtete, daß er schon bald wieder seine schlimmsten und selbstzerstörerischsten Angewohnheiten aufnehmen würde. Alles, wofür er gearbeitet hatte, jeden Hauch von Stolz, den er sich erworben hatte, das alles war in Miami zurückgeblieben.
Am frühen Morgen, als Jimmy Cannon seine Kolumne zu Ende geschrieben hatte, ging er zurück ins Fontainebleau, wo er dem großen Leichtgewichtler Beau Jack begegnete, der als Schuhputzer im Hotel arbeitete.
»Besser, Sonny wär tot«, sagte Beau Jack zu Cannon. »Wie kann so einer noch in den Spiegel gucken, was soll der seinen Kindern und seiner Frau sagen?«
Clay nahm seine Manie, es der Presse zu zeigen, vom Ring mit ins Interviewzimmer. »… Was sagt ihr nun? Ich überstehe nicht die erste Runde? Der geht in der zweiten k. o.? Wie viele Herzinfarkte hat es gegeben? Oh, ich bin schön. Ich hab ihn böse geschlagen, und das ist sooo guut. Der Bär konnte mir nichts anhaben, hat mich nicht mal angekratzt …«
Clay schwadronierte weiter und weiter, bis er schließlich sagte, er wolle Gerechtigkeit von den Reportern, die um ihn herum versammelt waren.
»Ich zeig euch jetzt, wie groß Reporter sind«, sagte er. »Wer ist der Größte?«
Keine Antwort.
»Keine Gerechtigkeit. Ich kriege keine Gerechtigkeit.Keiner gibt mir Gerechtigkeit. Ich geb euch noch eine Chance. Wer ist der Größte?«
Eine Pause entstand. Dann murmelten ein paar Reporter: »Sie.«
Jackie Gleason, der Reporter spielte, indem er Kolumnen für die
New York Post
durchgab, war wahrscheinlich als einziger der Presseleute zerknirscht. In seiner Kolumne am nächsten Morgen schrieb er: »Also schlucke ich nun die Kröte, die nicht unbedingt das beste Gericht der Welt ist. Es sind weniger die 600 Dollar, die ich verloren habe (wenn ich hinter einem stehe, dann stehe ich auch dahinter), sondern vielmehr die Nebenwette … in der ich versprochen habe, für jede Runde, die Old Blabbermouth auf den Beinen war, fünf Old Overshoe zu kippen. Daher muß ich den Zustand, in dem ich mich befand, als das Ende kam, wohl nicht weiter erklären. Der gute Cassius konnte sich an mir rächen, ohne einen Finger krumm zu machen.«
Als Clay gerade die
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