Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
Vom Netzwerk:
McDonough und Carroll entschieden.
    Die Ehre, die Nationalhymne zu singen, wurde Robert Goulet zuteil, einem schmierigen Schnulzensänger, der wie geschaffen für Las Vegas und Boxkämpfe war. Es sollte jedoch nicht sein größter Abend im Ring werden. Als Goulet aus seiner Kabine kam, stöberte er seine Taschen durch und merkte, daß er seinen Spickzettel, auf dem der Text des »Star-Spangled Banner« stand, vergessen hatte.
    »Was mach ich denn jetzt?« murmelte Goulet, als er durch die Seile in den Ring stieg. Dann stellte sich heraus, daß er die Orgel, die ihn begleitete, kaum hören konnte. Er stümperte den Text zusammen und hatte Schwierigkeiten, den Takt zu halten; es war, als mühte sich ein kleines Kind, mit den rennenden Eltern Schritt zu halten. Auf den Sitzen von Presse und Prominenz wurde gelächelt: Elizabeth Taylor, Jackie Gleason und Frank Sinatra waren da.
    Ali wirkte in seiner Ecke zuversichtlicher als in Miami. Weder in seinem Tänzeln noch in seinem Blick lag Nervosität. Würde er je großartiger aussehen? Er trug eine weiße Hose mit schwarzen Streifen. Er wog dreiundneunzig Kilo und wirkte jetzt an Brust und Armen kräftiger.
    Liston dagegen wirkte entrückt, träumerisch. Er zog den Mantel aus und dehnte den Oberkörper, vor und zurück, hin und her. Liston wog siebenundneunzig Kilo und trug eine schwarze Hose mit weißen Streifen.
    Mit dem Eröffnungsgong reichte ein Reporter von UPI einem der Läufer vom Bates College einen Zettel, auf dem stand: »Der Kampf Clay gegen Liston hat begonnen, nun folgt ein Bericht Runde für Runde.«
    Als der Junge vom Bates mit seiner Nachricht draußen beim Übertragungswagen angekommen war, hatte der Mann von Western Union, der den Kampf auf einem Monitor verfolgte, eine Überraschung für ihn.
     
    Die Filme der nachfolgenden runden Minute, die der Kampf dauerte, haben Boxfans mit derselben fanatischen Aufmerksamkeit studiert wie die Experten des Attentats auf Kennedy den Zapruder-Film. Doch anders als der Zapruder-Film mit seinen zerfließenden Farben und den Blutwolken lösen die Filme vom Kampf Ali gegen Liston einige der Rätsel, die die Geschehnisse angeblich umgaben.
    Natürlich sieht man sich den Film am besten in Zeitlupe an.
    Wie in seinem Traum durchquert Ali den Ring und eröffnet den Kampf mit einer Rechten. Doch Liston steckt den Schlag leicht weg, und dann beginnt ein etwa einminütiger Tanz, das heißt, Ali tanzt im Uhrzeigersinn, die Handschuhe auf Hüfthöhe, und Liston stapft hinter ihm her. Zwanzig Sekunden verstreichen, ohne daß ein Schlag ausgeführt oderauch nur angesetzt wird. Dann beschließt Liston, daß er nun kämpfen muß, und schickt viermal die Linke ab. Alle landen sie, doch sie streifen Ali nur; er hat ihnen die Wucht genommen, indem er nach hinten ausweicht und die Schläge mit Handschuhen und Unterarmen entschärft. Liston schlägt Jab um Jab, aber nicht einmal trifft er Ali sauber.
    Dann kommt der Augenblick, der so viele in der Halle verwirrte. Ali tänzelt an den Seilen entlang, und Liston stürzt sich mit einer Linken auf ihn. Ali reißt das Kinn gerade weit genug zurück, um Schaden abzuwenden, und schickt, während er sich wieder nach vorn dreht, einen kurzen, knallharten rechten Cross an Listons Schläfe. Listons Kopf ruckt zur Seite, und er geht sofort zu Boden. Möglicherweise hätte der Schlag später im Kampf nicht ausgereicht, um Liston zu fällen, doch Liston ist durch den danebengegangenen Jab aus dem Gleichgewicht geraten, ist frustriert und, da der Kampf ja erst eine Minute gedauert hat, noch kalt.
    Das alles sieht man natürlich nur mit Hilfe eines Projektors, der die beiden Kämpfer in ähnlicher Weise verlangsamt, wie der Fotograf Eadweard Muybridge den Galopp von Rennpferden in einzelne, für sich erkennbare Standbilder zerlegte. In Echtzeit abgespielt, zeigt der Film ungefähr eine Minute ereignislosen Tänzelns und Betatschens, gefolgt von einem Augenblick, in dem Ali offensichtlich
etwas
tut – sein Arm wird plötzlich zu einer verschwommenen Peitsche –, doch es wird nicht richtig klar, was sich da ereignet hat, nur daß es eine weitreichende Wirkung auf Liston hatte, der nun auf dem Boden ausgestreckt liegt. Dieser Augenblick ist so verwirrend, und Liston fällt so schnell, daß man durchaus der Meinung sein könnte, in der St. Dominic’s habe es einige gegeben, die plötzlich von der Angst gepackt waren, daß Liston vom Ringrand aus erschossen worden sei. Dennoch sagten einige Beobachter, die

Weitere Kostenlose Bücher