Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
Vom Netzwerk:
schrieb Cannon. »Sie fanden sie nicht, bauten sich dann aber am Haupteingang auf, um jeden schwarzen Nationalisten, den sie ausmachen konnten, festzunehmen. Sie kennen sie alle.«
    Cannon fuhr fort: »In dem Zementblockbau verteilten sich zweihundert Polizisten aller Dienstgrade aus ganz Maine. Streifenbeamte aus Lewiston, Bezirkssheriffs und Highway-Polizisten, und zwischen denen bewegten sich unauffällig Agenten des FBI . Sogar staatliche Alkoholkontrolleure waren mit Schußwaffen ausgestattet, welche sie in Halftern an der Hüfte trugen. Die Tasche einer jeden Frau, die die Halle betrat, wurde durchsucht, ebenso mußten sämtliche Beutel und Schachteln, Aktentaschen und Ranzen zur Einsichtnahme geöffnet werden. Bei ihrer Überwachung wurden sie unterstützt von den Muskeltypen der Black Muslims, die sich mit den Polizeikräften verbündeten, um den einzigen berühmten Neger, der ihren Kreuzzug der schwarzen Überlegenheit öffentlich unterstützte, zu beschützen.« Cannon versäumte zu erwähnen, daß diese ganzen Polizisten und Sonderagenten nur aus dem einen Grund da waren, weil die örtlichen Behörden auf seine Berichte hin gehandelt hatten – Harold Conrads Gerüchteküche hatte gut funktioniert.
    Ali wartete bis ungefähr neun Uhr, dann verließ er das Hotel und fuhr zur Halle. Er trug Jeans und ein Sweatshirt. Laut Mort Sharnik von
Sports Illustrated
, der ihn begleitete, war Ali in düsterer Stimmung.
    »Erzählen Sie mir Ihr Kampfszenario«, bat Sharnik ihn.
    Normalerweise hätte Ali zu einem Dreiakter inklusive der Mimik seines Gegners und des Ringansagers angehoben. Nun aber war er still und ernst und meinte, es werde ein seltsamer Kampf werden. »Er könnte so anfangen, daß ich gar nicht selber schlage, sondern einfach bloß zurückweicheund Liston mir folgt und ich ihn dann schließlich –
bamm!
– mit der Rechten treffe und es dann vorbei ist.«
    »Das wäre dann ein kurzer Kampf«, sagte Sharnik.
    »Es wird ein kurzer Kampf«, sagte Ali. »So sind Kämpfe eben. Es gibt keinen Plan. Das ist wie in keinem anderen Sport. Aber ich glaube, ich kann ihn packen. Das letzte Mal hätte ich ihn in der Runde, die ich vorausgesagt habe, k. o. geschlagen.«
    Was Ali Sharnik erzählte, war nicht improvisiert. Drei Wochen davor hatte er einem Reporter von einem immer wiederkehrenden Traum erzählt, in dem er gleich beim ersten Gong durch den Ring stürzte und Liston mit einer schnellen Rechten traf. »Das ist ein psychologischer Trick, den mir der alte Archie Moore verraten hat«, hatte er gesagt, »da weiß der Bär gleich, wer das Sagen hat. In dem Traum sehe ich nicht, ob er davon k. o. geht, aber er erholt sich nicht mehr davon, und ich gewinne dann mit einem frühen K. o.«
    Liston bekam in seiner Kabine einen Kurzbesuch von José Torres, dem Weltmeister im Leichtgewicht, der nach Lewiston gekommen war, um den Kampf auf spanisch zu übertragen. Torres fragte Liston, ob er seinen Sieg über Willie Pastrano gesehen habe. Liston sagte, ja, er habe ihn gesehen.
    »Na, Sie müssen es einfach genauso machen«, sagte Torres. »Schneiden Sie ihm den Weg ab. Sie müssen Ali den Weg abschneiden.«
    Die Boxfunktionäre von Maine hatten für die Kampfleitung nicht gerade die erste Garde aufgeboten. Der Ringrichter, Jersey Joe Walcott, war natürlich einmal Weltmeister im Schwergewicht gewesen, hatte in seiner neuen Rolle aber nicht besonders viel Erfahrung vorzuweisen. Er war ein »Promi-Ringrichter«, angeheuert in dem Glauben, es bedürfe keines Genies, um zwei Schwergewichtler aufeinanderloszulassen und eventuell bis zehn zu zählen. Der Zeitnehmer beim Niederschlag war Francis McDonough, ein dreiundsechzigjähriger pensionierter Drucker. Der Ringrichter stimmt sich beim Anzählen grundsätzlich mit diesem Zeitnehmer ab, doch Walcott hatte gar nicht mitbekommen, wo McDonough überhaupt saß. Der offizielle Zeitnehmer war ein fünfundfünfzigjähriger Lehrer namens Russell Carroll, der diese Funktion rund dreißig Jahre lang bekleidet hatte, darunter auch beim schnellsten Kampf der Geschichte des Boxens, einem zehneinhalb Sekunden dauernden Kuriosum, in dem ein Boxer namens Al Couture eine knappe Sekunde vor dem Gong durch den Ring rannte und auf seinen Gegner einprügelte, als dieser ihm gerade das Gesicht zudrehte. Meistens befindet sich irgendwo in der Nähe des Rings, wenn schon nicht darüber, eine Uhr; in Lewiston gab es das nicht. Sämtliche Zeitfragen wurden von den Stoppuhren in den Händen von

Weitere Kostenlose Bücher