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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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dortwaren und, vorerst jedenfalls, keine Zeitlupe zur Verfügung hatten, daß sie den Treffer deutlich sahen.
    »Es war genauso, wie Ali es im Bus vorausgesehen hatte«, sagte Mort Sharnik, der einen hervorragenden Platz in der Pressereihe hatte. »Liston verlagerte das Gewicht nach links, schlug zu, Ali entschärfte den Schlag, indem er nach hinten auswich, Liston stürzte auf ihn zu, worauf Ali sich aufrichtete, die Rechte hochzog und zuschlug, während Liston nach vorn fiel. Liston sah den Schlag gegen seinen Wangenknochen gar nicht kommen, und nur der Schlag, den man nicht sieht, bereitet einem Probleme. Manche sagten, es sei ein ›Phantomtreffer‹ gewesen. Dieses Wort machte schon sehr bald die Runde. Also, ich saß neben Floyd Patterson und Cus D’Amato. Und da war noch so ein alter Nationalgardist mit einem Hut, der aussah wie der von Smokey the Bear, und der brüllte: ›Verdammt, der hat ihn voll am Kinn getroffen!‹ Und wir alle sahen, was passierte. Das stand für uns außer Frage. Nicht erst später, sondern gleich.«
    In Zeitlupe sieht man, daß die nach unten gerichtete Wucht des Schlags nicht nur Listons Hals wegreißt, sondern auch bewirkt, daß er den linken Fuß anhebt, bevor er schließlich auf die Matte fällt. »Ich lehre diesen Schlag«, sagte Angelo Dundee, als er sich das Band rund dreißig Jahre später ansah. »Fester Stand, nach rechts verlagern, die rechte Hand herumführen. Liston sah sie einfach nicht – und das ist dann der Schlag, der dich wegmacht.« Während Liston fiel, versuchte Ali, mit einem linken Haken nachzusetzen, doch der ging vorbei. Da lag Liston schon.
    »Dieser Hieb hat Liston umgehauen«, sagte Chicky Ferrara damals. Ferrara war ein erfahrener Trainer, den Dundee in die Nähe von Listons Ecke gesetzt hatte, damit sich die Sache mit der Blendung aus dem ersten Kampf nicht wiederholen konnte. »Er blinzelte dreimal mit den Augen, alsversuchte er, den Kopf klar zu kriegen, und da sah ich zu Willie Reddish hin. Ich sah, daß Reddish flau war; er wußte, daß sein Kämpfer Schwierigkeiten hatte.«
     
    Liston ging zu Boden und rollte sich auf den Rücken, die Arme über dem Kopf ausgestreckt. Die Kampfregeln verlangen, daß der stehende Boxer sich sofort, noch bevor der Ringrichter anfängt zu zählen, zurückzieht, doch das tat Ali nicht. Jersey Joe Walcott hatte zuviel Respekt. Er drängte Ali nicht zurück, was er hätte tun sollen.
    Statt dessen stand Ali ganz dicht bei Liston. Er hielt die rechte Hand im Anschlag und schrie zu Liston hinab: »Steh auf und kämpf, du Nulpe! Du sollst doch so böse sein! Das glaubt dir doch keiner!«
    In dem Augenblick drückte ein junger Fotograf von
Sports Illustrated
namens Neil Leifer auf den Auslöser. Das Foto – Ali über Liston, Ali wild und schön – war das nachhaltigste Bild des Kampfs, vielleicht sogar das nachhaltigste Bild Alis im Ring überhaupt. Leifers Idole waren die großen Sportfotografen der vorigen Generation: Mark Kaufman, John Zimmerman und Hy Peskin von
Sports Illustrated
sowie George Silk von
Life
. Seit den frühen sechziger Jahren hatten die Fotografen nicht mehr die kastenförmige Speed Graphics, mit der WeeGee gern arbeitete, sondern Spiegelreflexkameras mit zwei Objektiven oder 35-mm-Kameras. »Für den Fotografen hatte Boxen viel mit Vorahnung zu tun«, sagte Leifer. »Mit der Rolleiflex und den Röhrenblitzen hatte man nur eine Aufnahme, dann mußte man weiterspulen und drei bis fünf Sekunden warten, bis das Licht wieder soweit war. Damals hatte man noch nicht diese Supertechnik, doch in den ersten Ali-Jahren hatte man es als Fotograf noch besser als Jahre später. Es gab noch drei Seile, nicht vier. Es gab weniger Lichter, also hatte man einen schwarzen Hintergrund.Auf der Ringverkleidung gab es noch keine Werbung für MGM Grand oder Bud Lite. Es wurde geraucht, also hatte man einen dramatischen Dunst. Damals waren die Bilder poetischer.«
    Leifer hatte den Vorteil der Poesie und das nötige Glück. »Ich stand zufällig am richtigen Fleck«, sagte Leifer. »Ein freies Schußfeld, kein Ringrichter stand im Weg. Wir hatten drei Tage damit verbracht, den Ring auszuleuchten und die örtlichen Elektriker zu schmieren. Wir liehen uns die Beleuchtung vom Roosevelt Raceway auf Long Island – vierzig Kondensoren, jeder fünfunddreißig Kilo schwer. Die ließen wir mit dem LKW nach Maine karren und benutzten sie als Fischauge für die ganze Halle im Moment des K. o. Alles war also perfekt. In dem Moment,

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