King of the World
Hand, und der daraus entstehende Druck, vor allem auf Patterson, machte diesem das Leben zur Qual. Pattersons Angst zeigte sich schon an seiner Haltung beim Wiegen, einem Ritual, das von den Boxern schon immer einen finsteren Blick oder wenigstens eisigen Gleichmut verlangte. Doch als Liston Patterson anfunkelte, starrte der auf seine Füße. Nie blickte er vor einem Kampf demGegner in die Augen. Das Risiko war zu groß. Denn schließlich besagt ein solcher Blick: »Wir werden kämpfen, was ja nichts Schönes ist.« Einmal, als Amateur, hatte er den Fehler begangen, seinem Gegner in die Augen zu blicken, und da sah er, daß er ein nettes Gesicht hatte, und die beiden Boxer lächelten einander zu. Von da an blickte Patterson zu Boden. Nur daß er jetzt wirklich Grund zur Sorge hatte. Sonny wollte ihn mit einem Laster überfahren, und er glaubte, wenn er das zuließe, würde er seine Familie, sein Land, seinen Präsidenten und seine Rasse enttäuschen.
»All das ist mir bis unmittelbar vor dem Kampf durch den Kopf gegangen«, sagte Patterson später. »Als der Gong ertönte und ich losging, sah ich nicht Liston, sondern hatte eine Vision von all diesen Leuten; was sie mir sagten, was ich tun sollte. Ich weiß nur noch, daß ich überhaupt nicht an den Kampf denken konnte.«
KAPITEL 2
ZWEI MINUTEN,
SECHS SEKUNDEN
Sonny Liston und Floyd Patterson.
25. SEPTEMBER 1962
Der Abend des Kampfs war neblig und klamm, Mantelwetter. Sogar für Chicago war es ein kalter September. In den Comiskey Park paßten rund fünfzigtausend, doch obwohl dies wahrscheinlich der größte Schwergewichtskampf war, seit Rocky Marciano zehn Jahre zuvor Joe Louis’ Karriere beendet hatte, war das Stadion nicht einmal zur Hälfte gefüllt; es waren gerade mal knapp neunzehntausend zahlende Zuschauer.
Der Ringsprecher stellte eine Prozession ehemaliger Champions vor, die einer nach dem andern durch die Seile stiegen: Louis, Marciano, Jim Braddock, Johansson, Ezzard Charles, Barney Ross, Dick Tiger. Archie Moore, der noch mit über vierzig seinen Lebensunterhalt mit Boxen verdiente, betrat den Ring im Smoking und einem mit weißer Seide gefütterten Cape. Sogar einen Gehstock führte »The Mongoose« mit sich.
Der einzige Nichtkombattant, der mit Buhrufen begrüßt wurde, war der junge Kämpfer aus Louisville, Cassius Clay. Nachdem er 1960 bei der Olympiade in Rom die Goldmedaille im Halbschwergewicht errungen hatte, war Clay wegen seines Mundwerks rasch bekannt geworden. Inzwischen hatte er eine Reihe Siege über das Mittelmaß im Schwergewicht abgespult, und sein Kampf gegen Archie Moore sollte wenige Monate später stattfinden. In erster Linie aber kannte man ihn als dreisten Kerl, der gereimte Liedchen zum besten gab, in denen er die Runde ankündigte, in der er siegen würde. Als Patterson die Sportler im olympischen Dorf in Rom besuchte, teilte Clay dem Champion im Ton freudiger Hysterie mit, er werde bald seineKrone tragen. »Dann halten Sie sich mal ran«, hatte Patterson lachend gesagt. Das tat Clay und erklärte sich zum Schönsten, Größten, zum König der Welt. Die Sportjournalisten, zumal die älteren, fanden das gar nicht komisch. Sie haßten Clay. Clay war ein Quatschkopf, der die Hände zu tief hielt und einen Punch hatte, mit dem man keine Grapefruit ausdrücken konnte. Er hatte ein freches Mundwerk. Wen hatte er schon geschlagen? Er war ein Affront. Selbst die Liberalen unter den Schreibern erwarteten von ihren Champions inzwischen die Artigkeit eines Louis oder Patterson. Clays Dreistigkeit war unfaßbar.
»Als Cassius an jenem Abend herumhüpfte, war er noch immer ein Youngster, gerade mal ein ganz ordentlicher Kämpfer«, erinnerte sich Patterson Jahrzehnte später. »Er war ja wohl ein netter Junge und so, aber wie sollte man ihn denn ernst nehmen? Ich sah zu ihm hin und mußte lächeln, aber so, wie man einem kleinen Jungen zulächelt, der vor der ganzen Verwandtschaft angibt.«
Die Reihen direkt am Ring waren voll besetzt mit Autoren. Mailer und Baldwin waren durch einen leeren Sitz getrennt, doch sie gingen soweit freundlich miteinander um. Vor allem aber waren da die Mobster, die Zigarrenkauer, die Flüsterer, die Männer im dunklen Anzug mit der Hakennase, die schon seit jeher das Sagen im Boxen gehabt hatten. Und sie alle – die Männer, die die Gewerkschaften und das Baugewerbe beherrschten, das Zahlenlotto und die Buchmacherläden, die Müllwerker und die Pizzabäcker –, alle
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