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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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und die ganze Welt guckt zu, und alles ist in Bewegung, ist aufgeregt, dann der ›Star-Spangled Banner‹, und die ganze Nation hofft, daß du gewinnst, einschließlich des Präsidenten. Und weißt du, was das alles macht? Es macht dich blind, macht dich einfach blind. Und dann ertönt der Gong, und du gehst auf Liston zu, und er kommt auf dich zu, und dir ist nicht mal bewußt, daß auch ein Ringrichter da ist …«
    Manche großen Sportler erleben eine Runde, ein Spiel, selbst einen ganzen Wettkampf wie in Zeitlupe, ein besonderer Vorteil, den ihnen ihre überragende Schnelligkeit, ihr Einschätzungsvermögen und ihre wunderbaren Bewegungsabläufe zu verschaffen scheinen. Der Sportler, der den Wettbewerb so sieht, hat immer schon gewonnen; er ist schneller als der Gegner, er hat die Flanke längst erahnt, den Libero überlaufen und den Ball in die Maschen gejagt. Für den Unterlegenen hingegen verlangsamt sich die Zeit nicht, sie geht eher aus den Fugen. Floyd erlebte in Chicago die Zeit als ein Durcheinander aus Zwängen und Lärm, als Anspannung, wie ein Ertrinkender, wie einer, der aus einem Flugzeug fällt, und hinterher konnte er sich kaum noch daran erinnern, was während jener zwei Minuten und sechs Sekunden geschah. Sogar der Schmerz brauchte eine Weile, bis er sicheinstellte. Patterson klagte über furchtbare Kopfschmerzen, denn Liston schlug härter als jeder andere lebende Schwergewichtler, doch das merkte er erst eine Stunde danach.
    Patterson war von Beginn an erstarrt. Wie bei einem Sänger, der eine Arie in a-Moll statt in B-Dur beginnt und den kleinen Schritt in die richtige Tonart nicht schafft, lief bei Floyd vom Gong an alles falsch. Alles, was ihn zuvor so kampfstark gemacht hatte, seine Schnelligkeit, sein Jab, seine Fähigkeit, den anderen Kämpfer zu lesen, alles war vergessen. Patterson legte die Handschuhe an die Schläfen, nahm seine
peekaboo
-Haltung ein, die er als Jugendlicher bei D’Amato gelernt hatte, aber eigentlich wartete er nur darauf, getroffen zu werden. Seine Strategie war unbegreiflich. Bei einem solch harten Schläger, bei einem Gegner, der bei der Reichweite mit unglaublichen dreiunddreißig Zentimetern im Vorteil war, trat Patterson dem Mann beinahe auf die Zehen.
    Liston begann damit, daß er Patterson einen forschenden Jab ins Gesicht setzte. Pattersons Kopf schoß zurück, wie von einem Baseballschläger getroffen. Dann, nach einer Serie verfehlter und tastender Schläge, wagte Patterson sein einziges Experiment in der Offensive, um zu sehen, ob er überhaupt eine Chance hatte. Er versuchte es mit einem seiner gesprungenen Haken. Liston schien verblüfft über sich selbst, wie leicht er dem ausweichen konnte. Er tat dies, indem er einfach einen Schritt zurücktrat – als wäre er beinahe in eine Pfütze getreten und hätte schon die Nässe an den Zehen gespürt. Nichts Gefährliches. Von da an machte Liston nur noch, was er wollte. Er jabbte; er hieb mit beiden Händen kurze Haken gegen Pattersons Rippen und Leber; dann legte er mit gewaltigen Haken und Uppercuts nach. Im Clinch hämmerte er gegen Pattersons Nieren. Patterson versuchte, Liston die Arme festzuhalten, ihn zu klammern,doch er schaffte es nur beim rechten, während Liston mit dem linken weiter auf ihn einprügelte.
    Erst eine Minute war vergangen. Nun aber fanden die großen Schläge zusehends ihr Ziel, erst ein rechter Uppercut, bei dem Pattersons Gesicht im Blitzlicht so verdreht aussah wie Kitt, den man aus dem fünften Stock aufs Pflaster hatte fallen lassen. Davon sollte er sich nicht mehr erholen. Die Rechte war nicht der Schlag, der ihn niederwarf, sondern, wie sich zeigte, derjenige, der alle Hoffnungen auf einen ausgeglichenen Kampf zunichte machte. Von da an flatterten die Schmetterlinge ungehemmt durch Pattersons Gehirn. Um den Kopf frei zu bekommen, um etwas auszuruhen, versuchte Patterson verzweifelt zu clinchen. Liston schob ihn von sich weg und schickte ihm zwei linke Haken nach. Die Schläge waren nicht sonderlich schnell, sie hatten nicht das kurze, dichte Tempo von Louis’ besten Schlägen – Liston hatte so eine Art, sich erst zu räuspern und dann zu schlagen; er war nicht übermäßig flink –, doch das änderte überhaupt nichts, nicht für Patterson. Benommen und mit glasigem Blick strebte Patterson zu den Seilen und versuchte, dort mit der linken Hand Halt zu finden, Gleichgewicht, einen nüchterneren Freund. Das war eine sehr schlechte Idee. Die eine Hand ums Seil geklammert,

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