King of the World
forderte Patterson das Ende geradezu heraus; vielleicht hatte D’Amato recht: Der Kämpfer, der k. o. geschlagen wird,
will
k. o. geschlagen werden. Liston legte sein ganzes Gewicht in einen linken Haken, der Patterson voll am Kiefer erwischte, und plötzlich beschrieb Pattersons Körper einen rechten Winkel. Seine Beine waren stocksteif, und er knickte an der Taille ein, doch diese Haltung währte nur einen Augenblick, dann gaben die Beine nach.
»So wie der gefallen ist, hab ich gewußt, der steht nicht mehr auf«, sagte Liston später.
Der Ringrichter, Frank Sikora, begann zu zählen. Patterson drehte sich auf die Seite. Bei neun war er auf den Knien. Er schaffte es noch auf die Beine, aber erst, nachdem Sikora zehn gezählt und mit den Armen gewedelt hatte.
»Da hatte ich einen Kampf, und dann war plötzlich alles vorbei«, sagte Sikora. »Ich hatte damit gerechnet, daß sie nun allmählich warm werden … Dann kam eine gewaltige Rechte gegen den Kopf, und schon mußte ich den Arm eines neuen Champions heben.« Die Reporter der Tageszeitungen am Ring bellten den Kollegen in der Redaktion schon den ersten Absatz durch oder tippten wie die Verrückten und drückten ihre Artikel den Boten der Western Union in die Hand. Den zweiten Absatz hatten alle schon parat: es war der drittschnellste K. o. in der Geschichte der Titelkämpfe im Schwergewicht. 1908 schlug Tommy Burns seinen Herausforderer Jem Roche in Dublin nach einer Minute, 28 Sekunden nieder, und 1938 schlug Joe Louis Max Schmeling im Yankee Stadium nach zwei Minuten und vier Sekunden.
Auch Gay Talese hatte seinen Abgabetermin, aber er war vor allem überwältigt vor Trauer wegen seines Freundes. Sehr oft richten junge Reporter ihre gesamte Aufmerksamkeit, ja Zuneigung auf ein einziges Objekt – bei Talese war es Floyd Patterson. Er verbrachte Stunden mit dem Boxer, er interviewte ihn zu Hause und im Trainingscamp, er war dabei, wie er in der Kabine vor einem Kampf noch ein Nickerchen machte, er kannte seine Ängste, seine Geheimnisse, und nun war er Zeuge geworden, wie sein Freund in einem Baseballstadion auseinandergenommen wurde. »Mir war, als wäre ein Stück von mir zerstört«, sagte Talese viele Jahre später. »Die Boxer sind so allein. Sie können die Schuld nicht verteilen. Ihre Demütigung findet vor Millionen statt. Liston war der bedrohlichste Mensch zu meiner Zeit, der geboreneZerstörer. Ich glaubte nicht, daß jemand ihn überleben könnte. Ich fand Floyd so mutig, fast schien er die Prügel einzufordern. Er riskierte seine öffentliche Auslöschung durch einen viel Größeren. Und dann sah ich, wie sich die beiden Männer umarmten. Nur im Boxen hat man dieses Ritual, zwei Männer, beinahe nackt, der Geruch und Geschmack des anderen, nach einem so ernsten Ringen, wie intim das ist, seltsam …«
Als Liston und Patterson einander losließen, stürzten Listons Betreuer durch die Seile, um ihn zu umarmen. Willie Reddish, sein Trainer, legte Sonny die Hände auf die Wangen.
Patterson ging zu seiner Ecke und sah durch einen Nebel, wie D’Amato ihm entgegenkam. D’Amato breitete die Arme aus, und da knickten Pattersons Beine fast wieder weg, diesmal aber nicht vor Schmerzen, sondern vor Kummer. Er fand D’Amato und legte den Kopf auf seine Schulter.
»Was war los, Floyd?« fragte D’Amato.
Patterson konnte nur sagen, er habe alle Schläge gesehen, bis auf den letzten. Er war noch immer benommen. Vor lauter Scham konnte er kaum sprechen. Erst viele Monate später konnte er erklären, was in dem Augenblick geschehen war. »Es ist kein
schlimmes
Gefühl, wenn du ausgeknockt wirst«, sagte er. »Eigentlich ist es ein
schönes
Gefühl. Es tut nicht weh, du bist nur so unglaublich groggy. Du siehst keine Engel oder Sternchen; du bist auf einer angenehmen Wolke … Doch dann vergeht dieses schöne Gefühl. Du erkennst, wo du bist und was du da machst und was gerade mit dir passiert ist. Und dann folgt ein Schmerz, ein konfuser Schmerz – kein körperlicher Schmerz –, es ist ein Schmerz, der mit Wut verbunden ist; es ist ein Was-jetzt-wohl-die-Leute-denken-Schmerz; ein Schäme-mich-meines-Könnens-Schmerz … und dann willst du nur noch eine Falltür mittenim Ringboden – eine Falltür, die sich auftut und dich hinabfallen läßt in die Kabine, statt aus dem Ring hinausgehen und sich den ganzen Leuten stellen zu müssen. Das Schlimmste am Verlieren ist, daß du aus dem Ring gehen und dich diesen ganzen Leuten stellen mußt …«
Es
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