King of the World
Moment lang hat er mich überrascht, als er auf ein Knie hochgekommen ist, aber dann hab ich gesehen, der ist wie einer, der noch im Schlaf nach dem Wecker langt.«
Dann wurde er gefragt, ob er in dem Kampf überhaupt verletzt worden sei.
»Nur einmal«, sagte er. »Und zwar, als der Mann ›neun‹ gesagt hat und es so ausgesehen hat, als könnte er vor ›zehn‹ noch mal hochkommen.«
Als die Kabine sich geleert hatte, duschte Patterson, zog sich an und klebte sich seinen Bart an. Er wartete eine Weile, bis das Stadion sich geleert hatte, und stieß dann zu seinem Freund Mickey Alan, dem Sänger, der an dem Abend die Nationalhymne gesungen hatte. Die beiden stiegen in einen Mietwagen, der von Pattersons Chauffeur an einer verabredeten Stelle geparkt worden war, dann ging es auf die Autobahn, Richtung Osten.
Patterson und Alan fuhren schweigend dahin. Zwei Stunden hinter Chicago hielten sie an, um sich am Straßenrand die Beine zu vertreten. Ein Polizist hielt und verlangte von Patterson den Führerschein. Floyd machte sich daran, seinen Bart abzunehmen.
»Was ist das denn, sind Sie Schauspieler, oder was?« fragte der Polizist.
Dann blickte der Cop auf den Führerschein und erkannte, daß er Floyd Patterson vor sich hatte. Er wünschte ihm alles Gute und ließ ihn weiterfahren.
Patterson fuhr nicht zu seinem Haus nach Yonkers, sondern zu seinem Trainingscamp weiter nördlich in Highland Mills. Die Fahrt dauerte fast zweiundzwanzig Stunden. Als sie ankamen, bat er Alan zu gehen. Patterson hatte rasende Kopfschmerzen. Liston hatte ihn schwer getroffen, und nun spürte er es. Er wollte gleich mit dem Training beginnen und sich auf einen weiteren Kampf mit Liston vorbereiten. Er ging zum Boxraum. Er schaltete das Licht an und merkte, daß fast seine ganze Ausrüstung in Chicago war.
Auch Pattersons Familie und Freunde waren noch in Chicago. Sie erfuhren von seiner Flucht erst aus der Zeitung. Als Pattersons Mutter von Reportern gefragt wurde, wo ihr Sohn sei, sagte sie, sie wisse es nicht. »Floyd ist ein Mann mit sehr viel Stolz, und ich glaube, er will jetzt einfach nur allein sein«, sagte sie. »Ich glaube, er will jetzt niemanden sehen,weil er den Leuten immer sein Bestes geben wollte.« Cus D’Amato lief in der Lobby seines Hotels auf und ab und überlegte, was wohl aus seinem Kämpfer werden würde.
Wenig später beschloß Floyd, ganz wegzugehen. Mit seinem Paß, einem Koffer und seiner Verkleidung fuhr er zum New Yorker Flughafen Idlewild. Bevor er zum Ticketschalter ging, legte er seinen Bart an. Auf der Anzeigetafel sah er sich die nächsten Flüge an und kaufte ein Ticket nach Madrid. Ihm war alles einerlei – nur weg hier. Als er in Madrid ankam, nahm er ein Taxi zum Hotel und trug sich dort unter dem Namen Aaron Watson ein. Tagelang durchstreifte er die ärmeren Viertel der Stadt und tat dabei, als hinke er. Die Leute starrten ihn an. Patterson hatte den deutlichen Eindruck, daß sie ihn für verrückt hielten. Zumeist aß er auf seinem Zimmer. Das einzige Mal, als er in einem Restaurant aß, bestellte er eine Suppe, nicht, weil er sie mochte – er haßte Suppen –, sondern weil er glaubte, daß alte Menschen eben Suppe aßen.
»Bestimmt fragst du dich, wie man auf solche Sachen kommt«, sagte Patterson später zu Talese. »Tja, ich frage mich das auch. Und die Antwort ist, ich weiß es nicht … Aber ich glaube, daß in mir, in jedem Menschen, eine gewisse Schwäche steckt. Eine Schwäche, die sich eher zeigt, wenn man allein ist. Und ich habe mir überlegt, daß ich die Dinge, die ich tue, unter anderem deswegen tue, und anscheinend bringe ich das eine Wort –
ich
– nicht über die Lippen, weil ich … weil ich ein Feigling bin.«
Während Patterson im Auto unterwegs nach Hause war, hielt Liston sich noch immer in Chicago auf. Am Morgen nach dem Kampf erschien er zur Pressekonferenz, um den Schreibern ein paar frische Zitate für ihre Nachbetrachtungen und Porträts des neuen Champions zu liefern.
Die Pressekonferenz hatte schon begonnen, als Norman Mailer kam. Er hatte die ganze Nacht im Playboy Mansion durchgezecht, und je mehr er getrunken hatte, desto mehr hatte er den Leuten dort die Ohren vollgeredet, wie man einen Rückkampf promoten und dabei Millionen und Abermillionen machen könne. Er selbst wolle sich an der Promotion beteiligen. Er beharrte sogar darauf, beweisen zu können, daß Liston den Kampf in Chicago eigentlich gar nicht gewonnen habe, daß Patterson
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