King of the World
dauerte nicht lange, bis Floyds Gedanken sich dem Fluchtplan zuwandten, seiner Verkleidung. Ganz konnte er der Presse nicht entrinnen. Auf dem Weg aus dem Ring vergaß er nicht, noch etwas Nettes über Liston zu sagen, und er bat die Leute, sie sollten dem neuen Champion die Chance geben, sich nicht nur als Kämpfer, sondern auch als Mann zu beweisen. »Ich glaube, Sonny hat innere Werte, die gut sind«, sagte er. »Ich glaube, die Öffentlichkeit sollte ihm eine Chance geben.«
Doch das war nicht alles. In der Kabine fragte ihn ein Reporter, was passiert war. Was glaubten die denn, was passiert war?
»Mich hat ein guter Punch erwischt«, sagte Patterson.
»Eine Rechte, nicht?«
»Ich glaube, ja.«
»Haben Sie gehört, wie der Ringrichter Sie angezählt hat?«
»Zuerst nicht deutlich. Als ich dann doch etwas hörte, glaubte ich, er sagte ›acht‹, und da bin ich aufgesprungen.«
Dann sagte Patterson noch, ja, er wolle noch einmal gegen Liston boxen.
»Gegen ihn boxen?« sagte ein Reporter. »Warum haben Sie nicht heute abend gegen ihn geboxt?«
»Hätten Sie weitermachen können, Floyd?« fragte ein anderer Reporter.
»Klar, ich hab gedacht, ich könnte weitermachen. Aber das glaubt wahrscheinlich jeder Boxer.«
Die Reporter wollten wissen, wie Liston wirklich ist, wie gut er als Champion werden würde, wie tapfer.
»Das wird man sehen«, sagte Patterson. »Wir werden sehen, wie er ist, wenn einer ihn geschlagen hat, wie er das dann packt. Bei einem Sieg fällt einem alles leicht. Erst in der Niederlage zeigt sich der wahre Mann. Nach einer Niederlage kann ich den Leuten nicht gegenübertreten. Ich habe nicht die Kraft, ihnen zu sagen, ich hab mein Bestes gegeben, tut mir leid und was sonst noch alles.«
Alle um Sonny Liston herum sagten, das Beste an ihm sei seine Frau Geraldine. Er war nicht der treueste Ehemann der Welt, wo er auch hinkam, trieb er sich herum, trank, spielte, doch wenn Geraldine dabei war, war er gelassen, sogar zärtlich.
Geraldine konnte es nicht ertragen, ins Stadion zu gehen und ihren Mann kämpfen zu sehen. Viel lieber blieb sie auf ihrem Zimmer im Sheraton-Chicago, Lockenwickler in den Haaren, das Gesicht mit Hautcreme eingeschmiert. Im Bademantel wartete sie auf einen Anruf von Sonnys Sekundanten.
»Wenn’s nach mir gegangen wäre«, sagte sie, »hätte Sonny das nie gemacht. Mir wäre Armut lieber als Berufsboxen. Wenn wir Kinder haben, laß ich die auch nicht boxen. Gut, wir hätten dann nicht das Geld. Aber wenn ich’s nicht hätte, wüßte ich ja auch nichts davon … Ich weiß, Charles hat Unrecht getan, aber wenn er nicht im Blick der Öffentlichkeit wäre, dann wär’s auch schon vergessen. Die Sportreporter fangen immer wieder damit an. Als wollten sie gar nicht, daß er gut ist. Wie soll einer gut werden, wenn die Leute ihn nicht lassen? Oft haben wir abends drüber gesprochen. Sonny kennt sich, und er weiß, wenn er Champion wird, will er bloß so leben, daß alle sehen, daß er ein besserer Mensch ist.«
Genau das war Listons Absicht. Jetzt, in seiner Kabine, bombardierten ihn die Reporter mit Fragen.
»Moment«, sagte einer der Promotion-Leute und brachte den Raum zum Schweigen. »Das ist der Weltmeister im Schwergewicht. Das ist Mr. Liston. Behandeln Sie ihn doch so, wie Sie den Präsidenten der Vereinigten Staaten behandeln würden.«
Wahrhaftig. Als der Raum nun mehr dem Protokoll des Weißen Hauses entsprach, begann Liston mit einem Appell in eigener Sache, einer Bitte um Vergebung. Er habe seine Strafe abgesessen. Er wolle versuchen, sich künftig aus allem Ärger rauszuhalten und Gutes zu tun. »Wenn die Öffentlichkeit mir die Chance gibt, die Vergangenheit ruhen zu lassen, werde ich ein würdiger Champion sein«, sagte er. »Wenn man mich akzeptiert, beweise ich es.« Er sagte, er habe Patterson nach dem Kampf für diese Gelegenheit gedankt. »Dann habe ich ihm gesagt: ›Ich werde dir gegenüber genauso ein Mann sein wie du mir gegenüber. Und du warst ein verflucht guter.‹«
Liston verteidigte Patterson sogar als Boxer. Als er gefragt wurde, ob Floyd keinen Mumm habe, sagte Liston: »Das ist ja wohl das Dümmste, was ich je gehört habe. Ich hab genug von ihm unterm Handschuh gespürt bei dem letzten Haken, um zu wissen, daß das ein guter Punch war, der jeden schwer getroffen hätte. Ich hab ihn mir genau angesehen, als er umgefallen ist, und noch einmal genau hingesehen, als er auf dem Boden aufgeschlagen ist. Er war weg. Einen kleinen
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