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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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der Titelkämpfe im Schwergewicht gerade noch entronnen.
    Eine gute Minute später deckte Liston ihn mit einem Sperrfeuer ein, unter dem Patterson zusammenbrach und reglos liegenblieb. Liston hatte völlig richtig kalkuliert. Er hatte überhaupt nicht viel trainieren müssen. Der Kampf dauerte vier Sekunden länger als der erste, wobei fairerweise gesagt werden muß, daß sein Gegner in dieser Zeit zweimal nach Niederschlägen bis acht angezählt wurde. Patterson war diesmal mit dem festen Entschluß, auf seine Trainer zu hören, in den Ring gegangen, also zu boxen, warm zu werden,Listons Ausdauer zu testen – und wieder hatte er dann alles vergessen.
    »Es war genauso wie beim letzten Mal«, sagte Cus D’Amato. »Wir hätten ihm in der Ecke zwischen den Runden was gesagt, um ihn zu korrigieren, doch der Kerl hat ihn k. o. geschlagen, bevor wir überhaupt die Chance dazu hatten.«
    »Bis zu dem Treffer hab ich mich gut gefühlt«, sagte Patterson. Aber als er dann den letzten Treffer erhielt, verlor er vorübergehend die Fähigkeit, die Phantasie von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Irgendwie gaukelte ihm das Gefühl, ausgeknockt zu sein, vor, daß jeder in der Arena bei ihm im Ring war, wie eine Familie um ihn herumstand. »Du empfindest allen gegenüber eine große Zuneigung«, sagte er zu Talese. »Und du willst sie alle küssen – die Männer und die Frauen …« Nachdem er wieder zu sich gekommen und in die Kabine gegangen war, sagte Patterson, er boxe gern, und da er ja erst achtundzwanzig sei, fange er nun »bei Null wieder an, ganz von vorn«. Es sei sinnlos, Liston in nächster Zeit wieder herauszufordern. Wer würde dafür bezahlen wollen, sich einen dritten Kampf Patterson gegen Liston anzusehen?
    Patterson ließ das Ritual der Niederlage über sich ergehen: die Umarmungen von Familie und Freunden, die Pressekonferenz. Doch er beabsichtigte nicht, noch sehr lange zu bleiben. Nach seiner ersten Niederlage gegen Liston hatte Patterson fliegen gelernt und sich eine kleine Cessna gekauft. Er fuhr zum Flughafen in der Hoffnung, bald zu Hause zu sein. Doch kaum waren Patterson und sein Kopilot Ted Hanson, der zuvor Schädlingsbekämpfungseinsätze geflogen war, über der Wüste von Nevada aufgestiegen, zeigten die Instrumente an, daß die Maschine überhitzte; ihr Gepäck war zu schwer. Sie flogen zum Flughafen vonLas Vegas zurück, und während sich Hanson nach einem Flugzeug umsah, das sie mieten konnten, versteckte sich Patterson vor den Boxfans, die auf ihre Maschine warteten. Sein falscher Bart war irgendwo in seinem Gepäck vergraben. Statt dessen versteckte er sich im Dunkeln, wie früher als Kind in den Gassen von Bed-Stuy, in dem Schuppen in der U-Bahnstation High Street.
    Auf dem langen Rückflug nach New York (mit Zwischenlandungen in New Mexico und Ohio) versuchte Patterson, sich aufs Fliegen zu konzentrieren, doch immer wieder mußte Hanson ihn aus seinen Träumereien reißen. Patterson dachte: ›Wie konnte das gleiche zweimal passieren? … Wie? … Hab ich die Leute die ganzen Jahre zum Narren gehalten? … War ich denn je ein Champion?‹ Und er erinnerte sich, wie er sich nach dem Kampf ein paar Minuten im Badezimmer eingeschlossen hatte und die Presse gegen die Tür hämmerte und die Betreuer gegen die Tür hämmerten und brüllten: »Komm raus, Floyd, komm raus«, und er nur denken konnte: ›Was ist da passiert?‹ Die ganzen Monate nur laufen, getrennt von den Kindern leben, die ganzen Kämpfe im Boxraum, die Angst, der Schmerz, und dann ist es ruckzuck vorbei.
    »Was ist da passiert?«
     
    Der denkwürdigste Auftritt des Abends geschah vor dem Kampf und unmittelbar danach. Patterson war zerstört, und Liston hatte einen Auftritt abgeliefert wie ein Erwachsener, der einen Hund prügelt – überzeugend, aber nicht sehr schön anzusehen.
    Vor dem ersten Gong, als die verschiedenen Kämpfer der Vergangenheit und Zukunft auf eine Verbeugung in den Ring heraufgebeten wurden, das alte Ritual, sprang Clay, angetan mit einem hochmodisch karierten Jackett, in denRing. Er schüttelte Patterson einigermaßen ehrfürchtig die Hand, doch als er in Listons Ecke kam, riß er in gespieltem Entsetzen die Hände hoch. Falls er es nach dem Vorfall im Kasino mit der Angst zu tun bekommen hatte, sorgte er nun dafür, daß alle sahen, daß er sich nicht mehr fürchtete: Seine Augen waren zu groß, als daß sein Entsetzen etwas anderes als ein Gag gewesen wäre. Liston starrte ihn an. Patterson lachte, als

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