King of the World
hätte er gerade Chaplin auf einer Bananenschale ausrutschen sehen.
Patterson war kaum wieder auf den Beinen, als Clay schon wieder in den Ring gesprungen kam. Er stürzte sich auf die Fernsehmikrofone, auf das Radiomikro, das von Howard Cosell gehalten wurde.
»Der Kampf war eine Schande!« brüllte Clay. »Liston ist ein Tramp! Ich bin der Champ! Ich will diesen großen häßlichen Bären!«
Clay wollte in Listons Ecke stürmen, doch drei Polizeibeamte hielten ihn zurück.
»I’ll whup him in eight! Don’t make me wait! I’ll whup him in eight!« (»Ich mach ihn fertig in der achten! Ich will nicht warten!«) schrie er und hielt acht Finger in die Luft.
Clay war mit Requisiten zum Kampf gekommen. Er zog eine falsche Zeitung hervor, auf der in riesigen Lettern die Schlagzeile stand: »Clay Has a Very Big Lip That Sonny Will Sure Zip.« (»Clay hat ein sehr großes Maul, das Sonny bestimmt stopfen wird.«) Sonny Liston sah mit schmalen Augen zu ihm hin. Er stupste seinen Trainer, Willie Reddish, an und sagte: »Ist das zu fassen? Der kommt als nächster dran.« Als ein Reporter Liston später fragte, wie lange er brauchen werde, um Clay zu schlagen, sagte er: »Zwei Runden – eineinhalb, um ihn zu fangen, und eine halbe, um ihn zu versohlen.«
ZWEITER TEIL
KAPITEL 5
DER FAHRRADDIEB
Cassius Clay, im Alter von zwölf Jahren.
Als Kämpfer, als Selbstdarsteller, als einer, der nach Unabhängigkeit strebte, als ein Mann von amerikanischer Originalität sollte Cassius Clay die Welt der Sonny Listons und Floyd Pattersons überwinden. Sein Leben begann mit einem Vorteil, und zwar einem ökonomischen. Boxen war nie ein Sport der Mittelschicht. Es war immer schon ein Sport der Armen, der Lotteriespieler, der jungen Männer, die alles auf eine Karte setzen und die ihre Gesundheit für die unendlich kleine Chance auf Reichtum und Ruhm riskieren. Alle prominenten Gegner Clays – Liston, Patterson, Joe Frazier, George Foreman – waren arm geboren, oft genug als Kinder großer Familien, deren Vater arbeitslos oder abwesend war. Als Jungen gehörten sie alle der, wie Soziologen und Schlagzeilenmacher sie später nannten, Unterschicht an. Eine der weniger amüsanten Komponenten der Ali-Show war die Art, wie er versuchte, noch schwärzer zu sein als beispielsweise ein Frazier, indem er ihn »Onkel Tom« nannte, einen »Ehrenweißen«, war Frazier doch in bitterer Armut in South Carolina aufgewachsen. Wenn Ali das als Witz meinte, konnte Frazier nie darüber lachen.
Cassius Clay wurde am 17. Januar 1942 geboren, und entsprechend den Gegebenheiten des Ortes und der Zeit, Louisville und Nachkriegsjahre, war er ein Kind der schwarzen Mittelschicht. »Aber
schwarze
Mittelschicht, schwarze Mittelschicht im
Süden
, entspricht keineswegs dem, was man anderswo unter Mittelschicht versteht«, sagt Toni Morrison, die als Jungredakteurin an seiner Autobiographie arbeitete. Das ist wohl wahr, aber dennoch war Clay in bessere Verhältnisse hineingeboren als seine späteren Rivalen. Sein Vater,Cassius Clay senior, war Schildermaler und Gelegenheitskünstler, er malte religiöse Wandgemälde und Landschaften. Seine Mutter, Odessa Clay, arbeitete zuweilen als Putzfrau und Köchin bei Oberschichtweißen in Louisville. (»Wir fanden Odessa
wunderbar!
Sie gehörte fast zur Familie!«) Hauptsächlich aber war sie Hausfrau und Mutter. Die Clays hatten zwei Kinder – Cassius Marcellus und Rudolph, der 1944 geboren wurde. Die Clays kauften ihr Haus in der Grand Avenue im West End, als sie noch keine Dreißig waren, für 4500 Dollar. Es war ein kastenförmiges Haus mit einem kleinen Garten in einem rein schwarzen Viertel, aber es lag weit entfernt von Smoketown, dem ärmeren Schwarzenviertel im Südwesten der Stadt. (Die weiße Elite Louisvilles wohnte im East End, in der Gegend um die River Road, in Indian Hills oder in Mockingbird Valley; auch die winzige schwarze Elite der Geistlichen, Geschäftsleute und Bestattungsunternehmer lebte zumeist im East End.) Damals waren etliche Straßen im West End nur schlecht befestigt, und viele Häuser waren ziemliche Bruchbuden, doch auch wenn die Clays nicht den Ansatz eines materiellen Luxus kannten, bis ihr Sohn Weltmeister wurde, fehlte es ihnen nie am Notwendigsten: Die beiden Jungen waren ordentlich gekleidet und hatten immer zu essen. Gelegentlich halfen Cassius und Rudolph ihrem Vater an Wochenenden oder nach der Schule beim Schildermalen und erledigten auch andere kleine Jobs, um
Weitere Kostenlose Bücher