King of the World
bemerkenswert nachlässigen Verständnis der Einzelheiten. So überraschte es nicht, daß Nichtinitiierte Fards Prinzipien, wenn er ihnen einige erläuterte, etwas seltsam fanden. Eines Abends fuhr Ferdie Pacheco mit Clay und zwei Mädchen auf dem Rücksitz in seinem Vorkriegs-Cadillac Coupé herum. Clay beugte sich vor und tippte Pacheco auf die Schulter.
»Siehst du?« sagte er und zeigte zum Himmel. »Da ist das Raumschiff.«
»Was für ein Raumschiff?« fragte eines der Mädchen.
Clay schaute sie verblüfft an.
»An einem Tag vor ungefähr siebentausend Jahren erschuf ein böser, verrückter Wissenschaftler namens Dr. Yacub die weiße Rasse aus der schwarzen … Der verrückte Doktor machte die Weißen überlegen und stieß die Schwarzen in die Sklaverei hinab. Diese Zeit kommt nun an ein Ende.«
»Und was hat das mit einem Raumschiff zu tun?«
»Also, ein Raumschiff hatte mit sechsundzwanzig Familien abgehoben, die darauf leben, und umkreiste die Erde. Sie nannten es das Mutterschiff. Die nicht-weißen Rassen werden von der weißen unterdrückt, und bald kommen sie herab und radieren die weiße Rasse aus.«
Eines der Mädchen lächelte schüchtern.
»Worauf haben sie denn so lange gewartet, Junge?«
»Einmal im Jahr«, fuhr Clay fort, »landen sie auf dem Nordpol, lassen einen dicken Plastikschlauch ab und saugen so viel Sauerstoff und Eis an, daß sie genug für ein Jahr haben.«
Anfangs unterschied Clay bei der Muslim-Ideologie nicht weiter zwischen dem, was ihm nutzte und was nicht, doch mit der Zeit redete er immer weniger über diese Geschichten. Was ihn umhaute, waren die Muslims auf Erden, ihr Ich-Gefühl, ihre aufrechte militärische Haltung, ihr Stolz. In Elijah Muhammad fand er einen Vaterersatz, einen gnostischen Quell der Weisheit und der Wunder, der auf plastiküberzogenen Sofas saß und die Welt schwarzer Anständigkeit und weißer Schlechtigkeit erklärte. Elijah Muhammad dagegen war Clay gegenüber anfangs tief gespalten; für die Nation of Islam war Boxen nicht besser als Trinken, ein wertloser Zeitvertreib, der zur Ergötzung des weißen Mannes veranstaltet wird. Anfang der sechziger Jahre, als Clay ihn kennenlernte, war Elijah Muhammad ein anerkannter Führer geworden, auch wenn er bei den Weißen kaum bekannt war. 1934 war Fard verschwunden, und Poole, der sich nun Elijah Muhammad nannte, hatte als Sendbote Fards die Führung der Muslims übernommen. Nachdem er in Detroit wegen Anstiftung Minderjähriger zur Gesetzesverletzung verhaftet worden war – er wollte seine Kinder nicht auf staatliche Schulen schicken –, zog er mit seiner Familie und der Sekte nach Chicago. Eine seiner legendären Gesten war, den Wehrdienst zu verweigern und statt dessen eine Haftstrafe anzunehmen.
»Für Ali hatte der Gedanke schwarzer Überlegenheit und des Raumschiffs etwas Tröstliches und Aufbauendes«, sagte Robert Lipsyte, der Reporter der
New York Times
, der ihnin den sechziger Jahren am besten kannte. »Schließlich hatte sein Vater ständig über Marcus Garvey geredet. Ali entfernte sich von seinem Vater, war aber auch von ihm beeinflußt und empfand die weiße Gesellschaft als erdrückend. Und was wäre Ali auch ohne die Nation gewesen? Sie gab ihm damals ein Ich-Gefühl, einen Bezug zu etwas Größerem und Bedeutenderem. Es war die Zeit der weißen Wut über die Integration, und die Nation of Islam sprach von Selbständigkeit.«
»Ali war ein Suchender, er war ja noch ganz jung und erfüllt von Schmerzen und Neugier und auf der Suche nach bestimmten Antworten«, sagte Ferdie Pacheco. »Er war auf der Suche nach einem Lehrer, der ihm sagte, was er zu tun hatte, und die Antwort der Muslims war klar und hart: Trau keinem Weißen. Schwarz ist am besten, schwarz ist schön, wozu brauchen wir die Weißen. Da war es fast egal, daß er die Louisville Group und mich und Angelo hatte, all die Weißen um ihn herum. Er haßte nicht. Aber er ist immer seinem Trommler hinterhermarschiert. Er sah die Dinge, wie er es wollte. Was für ihn am besten war, welche Ideologie am besten für ihn war, welches Programm das beste für sein Leben war, wie es seiner Meinung nach sein sollte. 1962 ging er nach Detroit und lernte Elijah Muhammad kennen. Von da an war er total auf ihn fixiert. Der hatte richtig Besitz von ihm ergriffen. Der alte Mann war mehr oder weniger der einzige, auf den er, wie er meinte, hören mußte.
Ali verstand auch Stärke. So wie Sonny Liston die Mafia verstand, verstand Ali, daß man die
Weitere Kostenlose Bücher