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King of the World

King of the World

Titel: King of the World Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Remnick
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»barbarische Würde«, seine Ruhe im Leiden, seine stille Befriedigung im Sieg. Und alsLouis schließlich doch zu weit ging und, weit jenseits seiner Höchstform, gegen Rocky Marciano antrat, hielt er eine Eloge auf den gebrochenen alten Kämpfer, wie die metaphysischen Dichter sie auf eine gemordete Maitresse gehalten hätten: »Das Herz, das im Körper wie ein wilder Vogel schlug, der geblendet und eingesperrt war, schien unfähig, das kalte Blut durch die Arterien von Joe Louis’ rebellischem Körper zu treiben. Seine siebenunddreißig Jahre waren eine Krankheit, die ihn lähmte.«
    Cannon wurde 1910 im, wie er es nannte, »nicht so verrückten Teil von Greenwich Village« geboren. Sein Vater war ein unbedeutender, aber freundlicher Angestellter in Tammany Hall. Die Familie lebte in Kaltwasserwohnungen im Village, und Cannon kannte bald die ganze Nachbarschaft und die Arbeiter, die Eismänner, die Kohlenjungen. Nach der neunten Klasse verließ Cannon die Schule und fing als Botenjunge bei der
Daily News
an, wonach er das Zeitungsgewerbe nie mehr verließ. Als Jungreporter fiel er Damon Runyon auf, als er Berichte über den Prozeß um die Entführung des Lindbergh-Babys für den International News Service schrieb.
    »Die beste Art, eine Nulpe zu sein und seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist, über Sport zu schreiben«, sagte Runyon zu Cannon und verschaffte ihm dann eine Stelle bei einem Hearst-Blatt, dem
New York American
. Wie seine Helden Runyon und der Broadway-Kolumnist Mark Hellinger neigte Cannon der Welt des »Delicatessen-Adels« zu, Buchmachern und Wettfuzzis, den Pferdewettern und Talentsuchern, die sich im Toots Shor’s und Lindy’s, dem Stork Club und El Morocco herumtrieben. Als Cannon nach Europa ging, um Kriegsberichte für
The Stars and Stripes
zu schreiben, entwickelte er seinen typischen Stil: blumig-schwülstige, sentimentale Prosa, unterlegt mit einerabgebrühten Weisheit, ein urbaner Stil, den er in Süßwarenläden und Nachtclubs, bei Runyon, Ben Hecht und Westbrook Pegler aufgeschnappt hatte. Nach seinen Feldzügen mit George Pattons Dritter Armee kehrte Cannon heim und fing bei der
Post
an. Seine Sportkolumne, ein Vierteljahrhundert lang die beliebteste der Stadt, begann 1946 und war mit »Jimmy Cannon Says« überschrieben.
    Cannon war ein besessener Arbeiter, der als ehemaliger Säufer mehr Kaffee als Balzac trank. Er lebte allein – erst im Edison Hotel, dann in der Central Park West und schließlich in der Fifty-fifth Street. Er war ein kauziger Egomane, dessen Ego mit dem Alter nur noch zunahm. Jede Kolumne kostete ihn Mühe. Wenn er nicht gerade bei einem Baseballspiel oder an seinem Schreibtisch war, trieb er sich die ganze Nacht herum, zog von einem Nachtclub zum anderen, immer auf der Suche nach Tips, nach Gesprächsfetzen, die er in seiner Kolumne verarbeiten konnte. »Seine Kolumne ist sein Leben«, sagte einer seiner Kollegen, W. C. Heinz von der
New York Sun
. »Er hat keine Familie, treibt keinen Sport, spielt nicht. Wenn er schreibt, ist er die Konzentration selbst. Er dreht sich durch den Gefühlswolf. Ich habe keine Ahnung, was Jimmy machen würde, wenn er diese Kolumne nicht schriebe, er wäre einfach ganz einsam.«
    In der Rassenfrage galt Cannon für seine Zeit als aufgeklärt. Das heißt, daß er sich im Gegensatz zu vielen anderen Kolumnisten über die schwarzen Sportler, über die er berichtete, nicht lustig machte und auch ihre Sprechweise nicht imitierte. Er respektierte sie. Sosehr er DiMaggio verehrte, eroberte doch auch ebenso leicht ein Kämpfer wie Archie Moore sein schmalzverstopftes Herz.
    »Jemand müßte ein Lied über Archie Moore schreiben, der Bobo Olson im Polo Grounds in drei Runden k. o. schlug. Ich meine nicht große Komponisten wie HaroldArlen oder Duke Ellington. Es müßte ein Lied sein, das aus dem Hinterzimmer eines verlebten Saloons in einer nachtgetränkten Straße im morgenunruhigen Teil einer miesen Stadt dringt. Der Kerl, der es schreibt, muß ein Pianist sein, dem es Würde verleiht, wenn er aus dem Morast der Sägespäne auf dem Fußboden einen Vierteldollar zieht. Tot sind sie, die meisten dieser Pianisten, ihr Mund ist voller Staub statt voller Lieder. Archie aber könnte in jeder Stadt, in der er mal geboxt hat, einen ausgraben. Bestimmt.«
    Cannon beherrschte auch den unvollständigen Barhockersatz. Sehr häufig gab er seiner Kolumne Titel wie »Mich hat ja keiner gefragt, aber …«, wonach er einige Dutzend seiner Gedanken

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