King of the World
zur Auswahl stellte:
»Ich habe größeres Vertrauen in unwirsche Ärzte als in ölige.«
»Wenn Sie sich an Larry Simon, den Komiker, erinnern, sind Sie mittleren Alters.«
»El Morocco ist immer noch der beste Nachtclub im ganzen Land.«
»Klingt Marty Glicksman, der Sportansager, nicht wie ein Auktionator auf der Promenade von Atlantic City?«
»Leute, die anderer Leute Kaffeeuntertasse als Aschenbecher benutzen, müßten in der Öffentlichkeit verboten sein …«
Andere Kolumnen begann er, indem er den Leser in den Schädel und die Montur eines Baseballprofis versetzte (»Sie sind Eddie Stanky. Sie sind langsamer als der andere gerannt …«), und an anderer Stelle sonderte er in der Stimme von El Morocco um drei Uhr morgens Weisheiten über das Thema ab, von dem er wohl am wenigsten verstand – Frauen: »Jeder Mann bekommt Probleme, wenn er sich in eine Frau verliebt, die er nicht mit dem ersten Schlag niederschlagen kann.« Oder: »Man merkt gleich, wenn ein Weibanfängt, einen Kämpfer zu managen. Was macht ein blödes Weib plötzlich schlau? Nicht mal in einen Verein wie Yale lassen sie Weiber. Aber kaum macht ein Kämpfer ein paar Mücken, werden sie helle.«
Es gibt nicht viele Schreiber, in welchem Bereich auch immer, die nicht schnell veralten, und journalistisches Schreiben veraltet, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ebenso schnell wie das Zeitungspapier, auf das es gedruckt ist. Sogar manches von Mencken veraltet, und Cannon war kein Mencken. Die oberschlauen Witzchen und weltverdrossene Sentimentalität hatten ihre Zeit und ihren Ort, und mit zunehmendem Alter wehrte sich Cannon knurrig gegen die neuen Trends im Sportjournalismus und im Verhalten der Sportler. Auf der Pressetribüne begegnete er einer neuen Generation von Reportern und Kolumnisten, Männern wie Maury Allen und Leonard Schecter von der
Post
. Deren Art mochte er nicht besonders. Cannon nannte die Jüngeren »Backenhörnchen«, weil sie unablässig auf der Pressetribüne schnatterten. Er verabscheute ihre Frechheit, ihre Respektlosigkeit, ihr Bestreben, über den Sport hinauszugehen und sich in die Köpfe derjenigen zu versetzen, über die sie schrieben. Cannon hatte immer gesagt, sein Ziel als Sportjournalist sei es, »die Welt über die Tribüne hereinzubringen«, doch er konnte nicht begreifen, daß diese Generation im großen und ganzen dasselbe wollte. Er konnte ihren mangelnden Respekt vor den alten Wahrheiten nicht ertragen. »Die stellen sich hin und pöbeln die Leute mit groben Fragen an«, sagte Cannon einmal über die Backenhörnchen. »Die kommen sich groß vor, wenn sie zu einem Sportler hingehen und ihn mit einer Frage beleidigen. Für die ist das so eine Art Tapferkeit.«
Ein Teil von Cannons Besorgnis war schiere Rivalität. In New York gab es damals sieben Tageszeitungen, und dieKonkurrenz war riesengroß, immer mußte man die Nase vorn haben, originell sein, einen Knüller landen, ein zusätzliches Detail bringen. Doch die Backenhörnchen wußten, daß ihre Konkurrenz weniger die Kollegen waren als vielmehr die wachsende Macht des Fernsehens. Anders als Cannon, der nahezu völlig Autodidakt war, waren diese jungen Männer (und es waren alles Männer) aufs College gegangen, und zwar im Zeitalter Freuds. Sie interessierten sich für die Psychologie eines Sportlers (»Die verborgenen Ängste Kenny Sears’« war der Titel eines der längeren Artikel von Milton Gross). Mit der Zeit wirkte auch das nicht mehr sonderlich angesagt – bald fragte jeder Trottel, der ein Mikrofon halten konnte, den Sündenbock des Tages: »Was
dachten
Sie, als Sie den Ball verfehlten?« –, doch vorerst waren die Backenhörnchen noch sehr en vogue, und Cannons geschwollene Sätze, die einstmals so vergnüglich waren, wirkten zunehmend weniger sonor und ein bißchen antiquiert.
Ein Teil von Cannons Generationsangst war, daß er über die Baseballspieler in einem elegischen Tonfall schrieb. Die Schurken im Sport – Jim Norris, Frankie Carbo, Fat Tony Salerno – verachtete er zutiefst, allerdings erfuhr man von ihm nicht, daß DiMaggio vielleicht der herrischste Mensch im ganzen Sport war oder daß Joe Louis als Pensionär allmählich dem Drogenwahnsinn verfiel und gegen eingebildete Häscher vom Finanzamt oder der CIA die Luftschlitze seiner Klimaanlage mit Baumwolle verstopfte und die Fenster mit Vaseline zuschmierte.
Die neue Generation, Männer wie Pete Hamill und Jack Newfield, Jerry Izenberg und Gay Talese, bewunderte Cannons
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