King of the World
glaubte, er würde einfach schnellersein und schneller denken als er und ihn in elf, zwölf Runden zermürben«, sagte Dundee. Pacheco hingegen hatte das Gefühl, daß Liston, ein großer Champion, wegen der vielen angehäuften Demütigungen – den Witzeleien in der Presse, den Spottversen und nun auch noch den Mätzchen beim Wiegen – jetzt so wütend auf Clay war, daß er Clay nicht einfach nur k. o. schlagen, sondern ihn richtiggehend zusammenschlagen und verletzen wolle. Und so traf Pacheco Vorkehrungen, daß alles bereit war. Besonders am Herzen lagen ihm die schnellsten Wege zu den verschiedenen Krankenhäusern in der Umgebung. Welches war das nächste? Wo war die beste Notaufnahme? Wer hatte Dienst? Kannte er die Ärzte? Schließlich fiel seine Wahl auf das Mount Sinai, wo er selbst 1958 Assistenzarzt gewesen war.
Am Spätnachmittag aß Clay ein Steak mit Salat und Gemüse, und am Abend schlüpfte er in einen Smoking und brach mit Dundee, Pacheco, dem Masseur Luis Sarria, Bundini und noch einigen anderen zur Arena auf. Er ging früher hin, als nötig gewesen wäre, weil er sich noch seinen Bruder Rudy ansehen wollte, der in einem Vorkampf gegen Chip Johnson boxte, einen handwerklich soliden Schwergewichtler.
Die Arena, die 15744 Menschen faßte, war nahezu leer, als Rudy in den Ring stieg. Bei Titelkämpfen gilt es als unfein, sich zu viele Vorkämpfe anzusehen, daher waren die leeren Sitze kein Schock. Es war das Pech des Promoters Bill MacDonald, daß es auch so bleiben sollte. Nur 8297 Eintrittskarten waren verkauft. Die vordersten Plätze waren ausverkauft, doch auf den mittleren und oberen Rängen herrschte gähnende Leere. Obwohl Clay und seine Finanziers 630000 Dollar übernahmen und Liston und seine Sponsoren sich 1,3 Millionen Dollar teilten, verlor MacDonald über 300000 Dollar. Es war schwer zu sagen, was das Publikum mehrdezimierte: die abschreckende Quote zugunsten Listons, die Gerüchte von Clays Übertritt zur Nation of Islam oder die heftigen Regenfälle, die gerade über Miami niedergingen. Harold Conrad konnte machen, was er wollte, es gelang den Promotern nicht, Clay zu einem rechtschaffenen, moralisch einwandfreien Neger zu stilisieren; es gelang ihnen nicht, die Marketingposse des Kampfs Patterson gegen Liston, also Guter Neger gegen Bösen Neger, noch einmal zu inszenieren. Für die meisten Weißen Floridas (und wer sonst konnte sich einen Platz leisten?) war dies eine Auseinandersetzung zwischen einem Muslim-Quatschkopf und einem furchterregenden Schläger.
Clay stand im Gang ein größeres Stück vom Ring entfernt und sah zu, wie sein Bruder kämpfte. Rudy war kein besonders guter Boxer, und er wurstelte sich mit Mühe und Not durch die erste Runde. Die Journalisten, die sich zu Rudys Kampf aufgerafft hatten, lenkten ihre Aufmerksamkeit ebensosehr auf Clay, der seinen Bruder lautstark unterstützte, wie auf den Kampf selbst. Am Ende siegte Rudy knapp nach Punkten, doch sehr eindrucksvoll war er nicht gewesen. Er war ziemlich übel verprügelt worden, und gegen einen härteren Gegner wäre die Sache sicher schlimmer ausgegangen. Es schmerzte Clay, mit anzusehen, wie sein Bruder im Ring vermöbelt wurde.
»Von heute abend an, Rudy«, sagte er, »wirst du nicht mehr kämpfen müssen.«
Allmählich strömte das wenige Publikum in die Arena. Malcolm X, der am Vortag nach Miami zurückgekehrt war, nahm seinen Platz ein. Wie immer trug er einen konservativen dunklen Anzug, eine dunkle Krawatte und ein weißes Hemd. Trotz der Unruhe um ihn herum, trotz seines Konflikts mit der Nation und dem häßlichen Krach mit MacDonald war Malcolm bester Stimmung, und er plaudertemit den Reportern, die zu ihm kamen. Wahrscheinlich war niemand in der Arena zuversichtlicher, daß es eine Überraschung geben würde. Am Abend vor dem Kampf hatte sich Malcolm mit Murray Kempton getroffen, der damals seine Kolumne für die
New York World-Telegram
schrieb. Kempton sagte, er hoffe, Clay werde vor Angst nicht zu sehr gelähmt sein, wenn er gegen Liston in den Ring stieg.
»Muslim sein«, belehrte Malcolm daraufhin Kempton, »heißt, keine Furcht zu kennen.«
Doch Kempton, der mit der schärfsten Beobachtungsgabe unter den Presseleuten, sah an jenem Abend etwas anderes bei Clay. Als er Clay beobachtete, wie er die Arena überblickte, wirkte Clays Blick »leer« und schweifend auf ihn. »Plötzlich entstand ein grauenhaftes Bild«, schrieb Kempton, »wie Cassius Clay in seinem Smoking kurz vor dem Hauptkampf,
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