Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
und seine Mutter vertrugen sich nicht. Möchten Sie Tee?«
»Ich dachte, Sie müssen los.«
»Das hat noch Zeit.«
Ich folgte ihr in die Küche. In der Mitte des Zimmers war eine Kochinsel mit einer kupfernen Abzugshaube über den Brennern, einem breiten Hackblock und allen möglichen Pfannen, Körben und Küchengeräten an einem runden Metallgestell, das von der Decke herabhing. Alle anderen Schränke waren mit weißen Kacheln verkleidet, in einem war eine Doppelspüle aus Edelstahl eingebaut. Es gab eine Kochplatte, einen Heißluftbackofen, einen Mikrowellenherd, einen Kühlschrank, zwei Gefriertruhen, und enorm viel Platz zum Lagern.
Nikki stellte Wasser auf und setzte sich auf einen Holzhocker. Ich nahm den Hocker ihr gegenüber, und so saßen wir beide in der Mitte des Raumes, der einem Chemielabor ebensosehr glich wie dem Traum einer Köchin.
»Mit wem haben Sie bis jetzt gesprochen?« fragte sie.
Ich erzählte ihr von meiner Unterhaltung mit Charlie Scorsoni.
»Das scheint mir ein sonderbares Freundespaar gewesen zu sein«, sagte ich. »Meine Erinnerung an Laurence ist ein wenig nebelhaft, aber er kam mir immer sehr elegant und intellektuell vor. Scorsoni ist sehr robust. Er erinnert mich an einen Typ in einer Reklame für Kettensägen.«
»Ach, Charlie ist ein echter Raufbold. Nach dem, was ich gehört habe, ist er auf die harte Tour nach oben gekommen, hat sich durch alle Hindernisse durchgeboxt. Wie der Spruch: >geht über die Leichen derer, die ihm teuer sind.< Vielleicht hat Laurence das gefallen. Er sprach von Charlie immer mit widerwilligem Respekt. Laurence bekam ja alles in den Schoß gelegt. Natürlich fand Charlie, Laurence sei über jeden Tadel erhaben.«
»So erschien es mir auch«, sagte ich. »Er hatte vermutlich kein Motiv für einen Mord. Dachten Sie schon mal, er könnte seine Hand im Spiel gehabt haben?«
Nikki lächelte, stand auf, um Tassen. Untertassen und Teebeutel herauszuholen. »Zum einen oder andern Zeitpunkt habe ich jeden in Betracht gezogen, aber Charlie halte ich für unwahrscheinlich. Er hat bestimmt weder finanziell noch beruflich profitiert...« Sie goß kochendes Wasser in beide Tassen.
»So weit das Auge sehen kann«, sagte ich und tunkte meinen Teebeutel ein.
»Na ja, stimmt. Es wäre schon denkbar, daß es sich insgeheim bezahlt machte, aber das wäre doch sicher irgendwann in den letzten Jahren ans Licht gekommen.«
»Sollte man meinen.« Ich erzählte ihr als nächstes von meiner Unterredung mit Gwen. Nikkis Wangen wurden ein ganz klein wenig rot.
»Ich habe ein schlechtes Gewissen wegen ihr«, sagte sie. »Zu der Zeit, als sie sich scheiden ließen, hat Laurence sie echt gehaßt, und ich neigte dazu, die Flammen noch zu schüren. Er konnte für das Scheitern dieser Ehe keinerlei Verantwortung auf sich nehmen, und folglich mußte er ihr die Schuld zuschieben und sie bestrafen. Durch mich wurde es nicht besser. Zuerst glaubte ich auch wirklich, was er über sie sagte. Ich meine, mir persönlich schien sie ein fähiger Mensch zu sein, und ich wußte, daß Laurence sehr abhängig von ihr gewesen war, aber es war sicherer, ihn von ihr zu entwöhnen, indem ich seinen Groll nährte. Verstehen Sie, was ich meine? Daß er sie so haßte, war in mancher Hinsicht nichts anderes als Liebe zu ihr, aber mir gab es mehr Sicherheit, wenn ich die Kluft vertiefte. Dafür schäme ich mich jetzt. Als ich ihn selber nicht mehr liebte und er anfing, sich gegen mich zu wenden, erkannte ich den Ablauf plötzlich wieder.«
»Aber ich dachte, Sie waren der Todesstoß für diese Beziehung«, sagte ich und betrachtete sie aufmerksam durch den Dampf der meiner Teetasse entstieg.
Nikki fuhr sich mit beiden Händen in die Haare, hob sie von ihrem Kopf weg und ließ sie wieder fallen. »Ach was«, sagte sie. »Ich war seine Rache. Unabhängig davon, daß er sie seit Jahren schon hinterging. Er fand heraus, daß sie ein Verhältnis hatte, also fing er ein festes mit mir an. Nett, hm? Ich begriff das alles erst viel später, aber so ist es gewesen.«
»Augenblick. Ich möchte sehen, ob ich das auch richtig verstanden habe«, sagte ich. »Er kam dahinter, daß sie mit jemandem zusammen war, dafür läßt er sich mit Ihnen ein, und dann läßt er sich scheiden. Soviel ich hörte, ist sie dabei aufs Kreuz gelegt worden.«
»Und ob. Genau das hat er getan. Die Affäre mit mir war seine Art, ihr zu beweisen, daß ihm nichts an ihr lag. Ihr die Kinder und das Geld wegzunehmen, das war seine
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