Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Seite des Topfes klebte. Sie hatte sie für 29,95 Dollar in einem Gateway-Supermarkt gekauft, ein ganz schöner Preis, wenn man bedenkt, daß sie wahrscheinlich voller Fruchtfliegen waren.
»Mist«, sagte ich. Wo war ich, als sie diese Mama hochgewuchtet hatte? Zwanzig Pfund Edelgrün und feuchtes Erdreich an einer Kette in Schulterhöhe. Hatte sie sich auf einen Stuhl gestellt? Ich fuhr geradewegs zum nahen Gateway-Supermarkt und lief nach hinten zu den Naturerzeugnissen. Da waren fünf oder sechs solcher Pflanzen — Dumbowedel oder Elefantenzungen, wie immer die verdammten Dinger heißen. Ich hob eins. O mein Gott. Es war schlimmer als ich dachte. Sperrig und schwer, unmöglich ohne Hilfe zu bewältigen. Ich schnappte mir einen Film an der Kasse für »Zehn Teile oder weniger, keine Schecks« und lud meine Kamera. »Marcia, du Herrchen«, säuselte ich, »dir reiß ich den Arsch auf.«
Ich fuhr zurück zu ihrer Wohnung und holte das Fernglas wieder hervor. Kaum lag ich auf dem Rücken, das Glas auf ihren Patio gerichtet, da erschien Miss Threadgill selbst und zog so einen langen Plastikschlauch hinter sich her, der an ihren Wasserhahn angeschlossen sein mußte. Sie sprengte, sprühte, spritzte und zog weiter, bohrte einen Finger in die Erde, pflückte von einer anderen Topfpflanze auf dem Patiogeländer ein vergilbtes Blatt. Eine wahre Besessene anscheinend, die die Unterseite der Blätter nach Gott weiß was für Schädlingen untersuchte. Ich studierte ihr Gesicht. Sie sah aus, als hätte sie rund fünfundvierzig Dollar anläßlich einer kostenlosen Makeup-Vorführung in irgendeinem Kaufhaus ausgegeben. Mokka und Caramel auf den Augenlidern. Himbeer auf den Wangen. Lippenstift in Schokoladenfarbe. Ihre Fingernägel waren lang und annähernd in dem Ton der Kirschfüllung mancher Dosenbonbons lackiert, bei denen man sich wünscht, man hätte nicht so schnell hineingebissen.
Eine alte Frau in einem Nylon-Jerseykleid trat auf den Patio über dem von Marcia, und die beiden hatten eine Unterhaltung. Ich vermutete, daß es Grund zur Klage gab, denn keine von beiden sah glücklich aus, und schließlich stürzte Marcia davon. Die alte Dame schrie etwas hinter ihr her, das selbst als Pantomime noch schmutzig wirkte. Ich stieg aus, schloß den Wagen ab und nahm ein Klemmbrett und einen Kanzleiblock mit.
Marcias Wohnung hatte im Mieterverzeichnis die Nummer 2C. Die Wohnung über ihr lief auf den Namen Augusta White. Ich nahm lieber die Treppe als den Fahrstuhl und pausierte erst einmal vor Marcias Tür. Sie spielte aus vollem Rohr eine Barry-Manilow-Scheibe, und noch während ich zuhörte, drehte sie die Musik weiter auf. Ich ging eine Treppe höher und klopfte an Augustas Tür. Sie war im Nu da und reckte ihr Gesicht durch den Spalt wie ein Pekinese, mitsamt den dazugehörigen Glubschaugen, Stupsnase und Kinnbart. »Ja?« blaffte sie. Sie war mindestens achtzig Jahre alt.
»Ich bin von dem Gebäude nebenan«, sagte ich. »Wir hatten \ einige Klagen wegen des Lärms, und der Verwalter bat mich, das nachzuprüfen. Könnte ich Sie mal sprechen?« Ich hielt mein amtlich aussehendes Klemmbrett hoch.
»Augenblick.«
Sie trennte sich von der Tür und stampfte in die Küche, um ihren Besen zu holen. Ich hörte, wie sie ein paarmal auf den Küchenboden hämmerte. Von unten kam ein gewaltiger Schlag, als hätte Marcia Threadgill mit einem Kampfstiefel gegen die Decke gebolzt.
Augusta White stampfte zu mir zurück und blinzelte durch den Türspalt. »Sie sehen mir aus wie ein Grundstücksmakler«, sagte sie argwöhnisch.
»Na, ich bin aber keiner. Ehrlich.«
»Sie sehen trotzdem aus wie einer, also verschwinden Sie hier bloß mit Ihren Papieren. Ich kenne alle Leute nebenan, und Sie sind keiner davon.« Sie schlug die Tür zu und warf den Riegel vor.
Damit war das erledigt. Ich zuckte die Achseln und stieg die Treppe wieder hinunter. Von draußen nahm ich die Terrassen in Augenschein. Die Patios waren nach Pyramidenart versetzt, und in einer kurzen Vision sah ich mich an der Außenseite des Gebäudes emporklettern wie ein Hochparterrespezialist, um Marcia Threadgill aus nächster Nähe zu bespitzeln. Ich hatte wirklich gehofft, jemanden für eine direkte Auskunft über Miss Threadgill gewinnen zu können, aber im Moment mußte ich das mal zurückstellen. Ich machte ein paar Aufnahmen von der Hängepflanze, vom günstigen Aussichtspunkt meines Wagens her, und hoffte, sie würde bald welken und an einem schlimmen Fall von
Weitere Kostenlose Bücher