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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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lief drei Meilen mit voller Energie. Dies war einer der seltenen Tage, an denen das Laufen unerklärlich großartig erscheint.
    Ich kehrte heim, duschte, wusch mir die Haare, machte ein Nickerchen, zog mich an, schlich zu einem kleinen Lebensmitteleinkauf und setzte mich dann an den Schreibtisch und arbeitete die Karteikarten durch. Dabei trank ich ein Glas Weißwein und aß ein warmes Sandwich mit schnittfest gekochtem Ei und massenhaft Best-Food-Mayonnaise und Salz. Bei dem Geschmack wäre ich fast in Ekstase geraten.
    Um acht griff ich mir eine Jacke, meine Handtasche und meinen Dietrich und sprang ins Auto. Ich fuhr Richtung Cabana Boulevard, der breiten Straße, die parallel zum Strand verläuft. Ich fuhr rechts ab. Jonah wohnte in einem abseits gelegenen kleinen Häusertrakt außerhalb von Primavera, ungefähr eine Meile entfernt. Ich fuhr an der Marina vorbei, dann am Ludlow Beach, und schaute nach links. Trotz der zunehmenden Dämmerung konnte ich die große Mülltonne ausmachen, in der mich vor zwei Wochen beinahe der Tod eingeholt hätte.
    Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ich hier vorbeifahren könnte, ohne unbewußt nach links zu sehen, ohne zumindest diesen einen Blick auf den Ort zu werfen, wo ich gedacht hatte, mein Leben sei zu Ende. Der Strand schien vom letzten Tageslicht zu leuchten, und der silbergraue Himmel war von rosa- und lavendelfarbenen Tönen überlagert, die dort, wo die nahen Hügel in Sicht kamen, in ein tiefes Magentarot übergingen. Draußen auf dem Meer wurden die Inseln in ein magisches tiefgoldenes Licht getaucht, wo zurückgebliebene Flüßchen aus Sonnenlicht einen schimmernden Teich gebildet hatten.
    Ich fuhr den Berg hinauf, am Sea Shore Park vorbei und bog dann nach rechts in ein Straßenknäuel über den Boulevard hinweg ab. Die Nähe zum Pazifik bedeutete zwar zu viel kühlen Nebel und ätzend salzige Luft, aber es gab eine Grundschule in der Nachbarschaft. Für Jonah, der früher von einem Polizistengehalt eine Familie zu ernähren hatte, war diese Gegend erschwinglich, doch war sie keineswegs besonders vornehm.
    Ich fand die gesuchte Hausnummer und fuhr in die Einfahrt. Die Verandabeleuchtung brannte, und der Garten sah gut gepflegt aus. Das Haus war im Ranchstil verputzt und graublau mit dunkelblauen Absätzen gestrichen. Ich nahm an, daß es drei Schlafzimmer und vielleicht einen Innenhof nach hinten raus geben würde. Ich klingelte, und Jonah öffnete die Tür. Er trug Jeans und ein L.-L.-Bean-Frackhemd aus Oxfordtuch mit rosa Nadelstreifen. Er hatte eine Bierflasche in der Hand und hielt sie locker am Hals. Mit einem Blick auf die Uhr winkte er mich hinein.
    »Mensch, sind Sie pünktlich«, meinte er.
    »Tja, es ist ja nicht so weit. Ich wohne am Fuße des Berges.«
    »Ich weiß. Soll ich Ihnen das abnehmen?«
    Er streckte seine Hand nach meiner Jacke aus. Ich zog sie aus und gab sie ihm zusammen mit meiner Handtasche. Er warf beides unsanft in einen Sessel.
    Für einen Moment wußten wir beide nichts zu sagen. Er nahm einen Schluck Bier. Ich steckte die Hände in die Hosentaschen. Warum mußte das so unangenehm sein? Es erinnerte mich an diese schrecklichen Junior-Highschool-Treffen, wo man von irgendeiner Mutter ins Kino gefahren wird und nie weiß, worüber man reden soll.
    Ich schaute mich um. »Nettes Haus«, bemerkte ich.
    »Kommen Sie, ich führe Sie herum.«
    Ich folgte ihm, während er über die Schulter hinweg mit mir sprach.
    »Es war ein Scheißhaufen, als wir das erste Mal reinkamen. Der Kerl hatte es einem dieser Spinner vermietet, der sich ein Frettchen im Schrank hielt und die Toilette nie spülte, weil es seiner religiösen Überzeugung widersprach. Vielleicht haben Sie schon welche von denen in der Stadt gesehen. Barfuß, so rote und gelbe Tücher um den Kopf und Kleidung wie aus dem Alten Testament. Er sagte, sie hätten fast nie die Miete bezahlt. Aber jedesmal, wenn er kam, um mit ihnen darüber zu reden, fingen sie an zu summen und seine Hand zu halten und vielsagenden Blickkontakt zu halten. Möchten Sie Wein? Ich habe ’nen extra guten gekauft — keinen mit Drehverschluß.«
    Ich lächelte. »Ich fühle mich geschmeichelt.«
    Wir machten einen Umweg in die Küche, und er öffnete eine Flasche Weißwein für mich. Er goß mir ein Glas ein, das noch mit einem Preisschild versehen war. Er grinste schüchtern, als er es bemerkte.
    »Alles, was ich hatte, waren die Plastikgläser, die die Kinder zum Spielen draußen benutzt

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