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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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seinen Geruch ein. Er roch wie etwas, das den Winter in einem Käfig verbracht hatte.
    »Seit wann nähen Sie Pelze?« fragte ich.
    Er drehte sich um und sah mich an, als hätte ich ihn in einer Fremdsprache angesprochen.
    »Seit ich zehn war«, erwiderte er schließlich. »Mein Vater nähte Pelze, und sein Vater vor ihm.«
    Er deutete auf einen Hocker, und ich setzte mich hin und stellte die große Handtasche zu meinen Füßen. Zu meiner Rechten stand ein langer Arbeitstisch, auf dem ein grobes Schnittmuster aus braunem Papier ausgebreitet war. Das rechte Vorderteil eines Nerzmantels war zusammengefügt worden, und offensichtlich arbeitete er immer noch daran. Die Wand zur Linken war mit aufgehängten Papierschnittmustern bedeckt, und vor mir standen verschiedene ziemlich antik wirkende Nähmaschinen. Jede zur Verfügung stehende Fläche war mit Fellen, Schnipseln, unfertigen Mänteln, Büchern, Zeitschriften, Kisten, Katalogen bedeckt. Zwei Schneiderpuppen standen Seite an Seite, wie Zwillinge, die verlegen für einen Fotografen posierten. Der Laden erinnerte mich an eine Schusterwerkstatt, alles voll Ledergeruch und Maschinen und der Aura handwerklichen Könnens. Er nahm den Mantel auf und untersuchte ihn genau. Dann langte er nach einem Schneidegerät mit einer übel geschwungenen Klinge. Er schaute zu mir auf. Seine Augen hatten den gleichen Braunton wie der Nerz.
    »Also, was wollen Sie wissen?«
    »Erinnern Sie sich an die Frau?«
    »Ich kenne den Mantel. Natürlich erinnere ich mich an die Frau, die ihn hergebracht hat. Mrs. Boldt, nicht wahr?«
    »Ja, genau. Können Sie mir sagen, wann Sie sie das letzte Mal gesehen haben?«
    Sein Blick fiel auf den Pelz zurück. Er machte einen Schnitt. Dann ging er zu einer der Maschinen hinüber und bedeutete mir, ihm zu folgen. Er setzte sich auf einen Hocker und begann zu nähen. Jetzt sah ich, daß das, was ich zuerst für eine altmodische Singer gehalten hatte, tatsächlich eine speziell zum Pelznähen angefertigte Maschine war. Er legte die zwei zurechtgeschnittenen Stücke vertikal aneinander, mit der Pelzseite nach innen, und faßte sie mit dem Greifer, der aus zwei flachen Metallscheiben bestand, wie große Silberdollar, die man Rand an Rand legt. Die Maschine nähte die Lederränder zusammen, während er geschickt den Pelz aus dem Weg schob, damit er nicht mit in die Naht gefaßt wurde. Der ganze Vorgang dauerte ungefähr zehn Sekunden. Er spreizte die Naht und glättete sie auf der Rückseite mit dem Daumen. In dem Leder waren vielleicht sechzig gleichartige Schnitte im Abstand von einem Viertelzoll. Ich wollte ihn fragen, was er da machte, aber ich mochte ihn nicht ablenken.
    »Im März kam sie herein und sagte, sie wolle den Mantel verkaufen.«
    »Woher wußten Sie, daß er wirklich ihr gehörte?«
    »Weil ich nach ihren Papieren gefragt habe, und nach der Verkaufsquittung.« Der gereizte Ton war wieder da, aber ich ignorierte ihn.
    »Sagte sie, warum sie ihn verkaufen wollte?«
    »Sie meinte, sie habe ihn satt. Sie wollte Nerz, vielleicht blond, also bot ich ihr Kredit gegen etwas aus dem Geschäft an, aber sie sagte, sie wolle das Bargeld, also sagte ich, ich würde sehen, was sich machen ließe. Ich war nicht gerade wild darauf, Bargeld für einen gebrauchten Mantel zu bezahlen. Normalerweise handele ich nicht mit gebrauchten Pelzen. Dafür gibt es hier keinen Markt, und es ist eine Scheißarbeit.«
    »Ich nehme an, Sie haben für sie eine Ausnahme gemacht.«
    »Also, ja, hab ich. Die Sache ist die, dieser Luchsmantel war in einem perfekten Zustand, und meine Frau hängt mir schon seit Jahren in den Ohren, ihr einen zu besorgen. Sie hat zwar schon fünf Mäntel, aber als dieser hereinkam, dachte ich... was soll’s, zum Teufel? Mach das alte Mädchen glücklich. Was macht mir das schon aus? Mrs. Boldt und ich feilschten, und schließlich bekam ich den Mantel für fünftausend, was für uns beide ein gutes Geschäft bedeutete, zumal ich noch den passenden Hut dazu bekommen habe. Ich sagte ihr, sie müsse die Reinigung und das Kürzen bezahlen.«
    »Warum kürzen?«
    »Meine Frau ist kleiner als einsfünfzig. Wenn Sie ihre genaue Größe wissen wollen: sie ist einsneunundvierzigkommaacht, aber sagen Sie ihr niemals, daß ich Ihnen das erzählt habe. Sie betrachtet es als eine Art Geburtsfehler. Haben Sie so etwas auch schon mal bemerkt? Kleine Frauen werden so. Vom Teenageralter an beginnen sie, so komische Schuhe zu tragen, und versuchen, wie große Menschen

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