Kinsey Millhone 02- In aller Stille
wo die Frau den Ehemann mitten in einem bösen Krach verläßt. Die Kleiderbügel befanden sich noch in den aufgehängten Sachen; die Kleider waren einfach übereinandergeschlagen und hineingepackt worden, mit den Schuhen oben drauf. Es sah aus, als wären Schubladen umgedreht und in die größte der Taschen entleert worden. Julia war zum Schaukelstuhl hinübergehumpelt und saß nun da und stützte sich auf ihrem Stock ab, als wäre sie eine schwerfällige Pflanze. Ich setzte mich auf das Roßhaarsofa und starrte auf die Koffer. Unbehaglich schaute ich Julia an.
»Das gefällt mir nicht«, begann ich. »Nach alledem, was ich über Elaine weiß, war sie schon fast zwanghaft ordentlich. Sie hätten sehen sollen, wie sie ihre Wohnung hinterlassen hat... alles war eben so... sauber, ordentlich, aufgeräumt. Kommt sie Ihnen vor wie ein Typ, der so packen würde?«
»Höchstens, wenn sie in schrecklicher Eile war«, antwortete Julia.
»Ja, das könnte sie tatsächlich gewesen sein, aber ich glaube trotzdem nicht, daß sie so packen würde.«
»Was haben Sie im Sinn? Was meinen Sie, könnte das bedeuten?«
Ich berichtete ihr von dem doppelten Paar Flugtickets und der Zwischenlandung in St. Louis und all den anderen Fakten, von denen ich meinte, daß sie dazugehörten. Es war schön, jemanden zu haben, an dem man seine Gedanken ausprobieren konnte. Julia war gescheit, und sie zog genausogern wie ich an dem ein oder anderen Knoten.
»Ich bin nicht davon überzeugt, daß sie jemals hier angekommen ist«, meinte ich. »Darauf haben wir sowieso nur Pat Ushers Wort, und darauf gibt keiner von uns beiden viel. Vielleicht ist sie aus irgendeinem Grund in St. Louis aus dem Flugzeug gestiegen.«
»Ohne ihr Gepäck? Und Sie sagten, sie habe ihren Reisepaß ebenfalls zurückgelassen, also was sollte sie dann gemacht haben?«
»Nun, sie hatte immerhin diesen Luchsmantel«, erwiderte ich, »den sie versetzt oder verkauft haben könnte.« Bei dem Thema hatte ich wieder einen dieser nagenden kleinen Gedanken im Kopf, den ich aber im Moment nicht klar fassen konnte.
Julia winkte ab. »Ich glaube nicht, daß sie ihren Mantel verkauft hat, Kinsey. Warum hätte sie das tun sollen? Sie hat eine Menge Geld, Aktien, Wertpapiere, Guthaben. Sie hätte es nicht nötig, etwas zu versetzen.«
Ich grübelte darüber nach. Sie hatte natürlich recht. »Ich frage mich immer noch, ob sie tot ist. Das Gepäck ist hier angekommen, aber sie hat es nie geschafft. Vielleicht liegt sie irgendwo in einer Leichenhalle, mit einem Schild um den Zeh.«
»Meinen Sie, daß sie jemand aus dem Flugzeug gelockt und dann umgebracht hat?«
Nicht so recht überzeugt, wiegte ich den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht. Es ist möglich. Es ist genausogut möglich, daß sie die Reise überhaupt nicht angetreten hat.«
»Ich dachte, Sie hätten mir erzählt, daß sie jemand gesehen hat, als sie das Flugzeug bestieg. Dieser Taxifahrer, von dem Sie sprechen.«
»Das war keine richtig positive Identifikation. Ich meine, ein Taxifahrer nimmt einen Fahrgast auf, und die Frau behauptet, sie sei Elaine Boldt. Er hat sie noch nie im Leben gesehen, also wer weiß? Er nimmt sie einfach beim Wort, wie wir es alle tun würden. Woher wollen Sie wissen, daß ich Kinsey Millhone bin? Weil ich sage, daß ich es bin. Jemand könnte sich für sie ausgegeben haben, ich meine, bloß, um mal eine Theorie aufzustellen.«
»Wozu?«
»Also, das weiß ich natürlich nicht. Wir haben ein Frauenpärchen, das so was zustande gebracht haben könnte. Zum einen ihre Schwester Beverly.«
»Und zum anderen Pat Usher«, ergänzte Julia.
»Pat hat davon profitiert, daß Elaine von der Bildfläche verschwunden war. Sie hatte monatelang eine mietfreie Wohnung in Boca.«
»Das wäre das erste Mal, daß ich von jemandem höre, der für Kost und Logis mordet«, entgegnete sie scharf.
Ich lächelte. Ich wußte, daß wir umhertappten, aber vielleicht würden wir über etwas stolpern. Im Moment konnte ich eine Pause gebrauchen. »Hat Pat wie versprochen ihre Nachsendeadresse hinterlassen?«
Julia schüttelte den Kopf. »Charmaine sagt, sie hat eine dagelassen, aber das war eine Finte. Sie packte und ging am selben Tag, als Sie hier waren, und seitdem hat sie keiner mehr gesehen.«
»Ach Scheiße. Ich wußte, daß sie das tun würde.«
»Nun, es lag nicht an Ihnen, das zu verhindern«, sagte sie nachsichtig.
Ich lehnte meinen Kopf an die Sofalehne zurück und trieb Gedankenspielchen. »Es könnte
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