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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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auszusehen, obwohl sie’s nicht sind. Wissen Sie, was sie schließlich machte? Sie lernte Rollschuhlaufen. Sie sagte, das sei das einzige Mal gewesen, daß sie sich wie ein richtiger Mensch gefühlt hätte. Jedenfalls dachte ich, ich schenke ihr diesen Luchs. Er ist prächtig. Kennen Sie den Mantel?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nie gesehen.«
    »Oh, dann kommen Sie mal mit. Sie müssen einen Blick darauf werfen. Ich habe ihn gleich hier hinten. Noch habe ich ihn nicht gekürzt.«
    Er ging nach hinten, und ich trottete gehorsam hinterher. Er öffnete die massive Metalltür zu seiner Stahlkammer. Kalte Luft wehte uns entgegen wie aus einem Kühlhaus. Pelzmäntel hingen in Doppelständern zu beiden Seiten. Ihre Ärmel berührten sich fast, als würden Hunderte von Frauen mit dem Rücken zu uns aufgereiht dastehen. Er ging den Gang hinunter, prüfte beim Gehen Mäntel und schnaufte von der Anstrengung. Er mußte wirklich ein bißchen abnehmen. Sein Atem klang, als würde sich jemand auf einer Ledercouch niederlassen, und das kann einfach nicht von guter Gesundheit zeugen.
    Er nahm einen Pelz vom oberen Ständer, und wir verließen den kalten Lagerraum. Schallend schloß sich die Tür hinter uns. Er hielt Elaine Boldts Mantel hoch, damit ich ihn betrachten konnte. Der Luchs war zweifarbig — weiß und grau in einem delikaten Ton, und die Felle waren so angeordnet, daß jeder Streifen in einem spitz zulaufenden Punkt am Saum endete. An meinem Gesichtsausdruck mußte er erraten haben, daß ich nie zuvor einen so teuren Mantel von nahem gesehen hatte.
    »Hier. Probieren Sie ihn an«, forderte er mich auf.
    Einen Moment lang zögerte ich, dann schlüpfte ich in den Mantel. Ich zog ihn um mich herum und blickte mich im Spiegel an. Der Mantel hing fast bis ans Schienbein, und die Schultern traten wie Schutzpolster für irgendeine seltsame neue Sportart hervor.
    »Ich sehe aus wie ein Yeti«, meinte ich.
    »Sie sehen großartig aus«, entgegnete er. Er schaute von mir weg auf mein Spiegelbild. »Wir werden ihn ein bißchen umlegen. Die Ärmel kürzen. Oder vielleicht steht Ihnen ein Fuchs besser, wenn Ihnen dieser nicht gefällt.«
    Ich lachte. »Bei meinem Einkommen finde ich es schon erstklassig, ein Sweatshirt mit einem Reißverschluß vorne zu besitzen.« Ich zog den Mantel aus, reichte ihn hinüber und kam zum Thema zurück. »Warum haben Sie ihr den Mantel bezahlt, bevor sie Ihnen das Geld gab? Warum haben Sie nicht Ihre Unkosten von den fünf Riesen abgezogen und ihr für die Differenz einen Scheck gegeben?«
    »Die Buchhalterin wollte es so. Fragen Sie mich nicht, warum. Es wird sowieso nicht so viel kosten, ihn reinigen zu lassen, und die Änderungen mache ich selbst, also was ist das schon? Ich habe ein gutes Geschäft gemacht. Adele hat sie wahrscheinlich ganz selbstverständlich wegen der Zahlung gemahnt, aber ich kann mich über die ganze Sache nicht aufregen.«
    Während er den Mantel ins Kühlhaus zurückbrachte, ging ich zu meiner Tasche und nahm das Polaroidfoto von Elaine und Marty heraus, das Tillie Ahlberg mir gegeben hatte.
    Als er wieder herauskam, zeigte ich es ihm. »Ist das die Frau, mit der Sie verhandelt haben?«
    Er sah kurz darauf und gab es zurück.
    »Nee. Von diesen beiden Frauen habe ich keine jemals im Leben gesehen«, meinte er.
    »Wie sah sie aus?«
    »Wie soll ich das wissen? Ich habe sie nur einmal gesehen.«
    »Jung, alt? Klein, groß? Dick, dünn?«
    »Ja, so ungefähr. Sie war mittleren Alters und hatte so blonde Haare. Und sie war Kettenraucherin. Ich würde sie nicht wieder reinkommen lassen, weil ich diesen Rauch in der Nähe meiner Felle nicht leiden kann.«
    »Wie hat sie sich ausgewiesen?«
    »Sie wissen schon. Mit dem üblichen Zeug. Führerschein. Scheckkarte, Kreditkarten. Wollen Sie mir erzählen, der Mantel sei gestohlen? Also, das will ich nicht hören.«
    »Ich glaube, >gestohlen< trifft es nicht ganz«, erwiderte ich. »Ich vermute, daß sich jemand Elaine Boldts Identität geborgt hat. Ich bin nicht sicher, wo sie in der Zwischenzeit geblieben ist. An Ihrer Stelle würde ich den Mantel lassen, wie er ist, bis wir herausgefunden haben, was los ist.«
    Mein letzter Anblick von ihm war, wie er unglücklich an seinen Barthaaren am Hals zupfte. Er bot mir nicht an, mich zur Tür zu begleiten.

    Ich ging in Floridas erdrückende Luftfeuchtigkeit hinaus. Die Wolkendecke gab einem das Gefühl einer verfrühten Dämmerung, und die ersten von etlichen großen

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