Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
ganze Gebäude jagen. Mir ginge bald die Puste aus, und ihm würde nicht mal der Schweiß auf die Stirn treten. Diese Form von Verfolgung war nicht besonders klug. Schließlich kam ich am Treppenabsatz an und griff nach der Türklinke. Abgeschlossen. Es gab nur noch ein weiteres Stockwerk. War ich ihm in die Falle gegangen oder in die Enge getrieben worden? In jedem Falle hatte ich den Eindruck, daß er am Drücker war, daß er dies alles von vornherein geplant hatte.
    Er betrat gerade das Treppenhaus unterhalb von mir, als ich wieder zu den Stufen rannte, um in den dritten Stock hinaufzuhasten. Die Dachlatte hielt ich noch immer fest in meiner schweißnassen Hand. Mir gefiel die ganze Sache nicht. Die Tür im dritten Stock flog bei der ersten Berührung auf, und ich betrat den dunklen Flur. Ich flüchtete zur rechten Seite, wobei ich mich zwang, mein Tempo zu reduzieren. Vom Treppensteigen war ich völlig außer Atem und schweißgebadet. Ich erwäg-te kurz, mir ein Versteck zu suchen, doch es gab zu wenig Auswahl. Zwar gingen etliche Zimmer zu beiden Seiten ab, ich hegte jedoch die Befürchtung, dort in die Enge getrieben zu werden. Er hätte dann nur noch jeden Raum abzusuchen brauchen, bis er mich sehr bald gefunden hätte. Außerdem hasse ich es, mich zu verstecken. Das macht mich wieder zu einer Sechsjährigen, und davon habe ich die Schnauze voll. Ich wollte mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen, mich bewegen und reagieren können, statt mich in einer Ecke zu verkriechen, die Hände vor dem Gesicht, in der Hoffnung, Gott möge mich unsichtbar machen.
    Ich bog noch mal rechts um die Ecke. Hinter mir hörte ich, wie die Tür zum dritten Stock zugeschlagen wurde. Plötzlich entdeckte ich in der Mitte des Flurs auf der rechten Seite einen Fahrstuhl. Ich sprintete hin und drückte, als ich ihn erreicht hatte, mit der ganzen Handfläche auf den »Ab«-Knopf.
    Dr. Fraker hatte gerade ein neues Lied angestimmt, diesmal pfiff er die ersten Töne von »I don’t stand a ghost of a chance with you« (Du läßt mir nicht die kleinste Hoffnung auf dich). War dieser Typ krank oder was?
    Ich drückte noch einmal auf den Knopf und lauschte innigst dem leisen Surren des Aufzugskabels auf der anderen Seite der Tür. Ich sah nach rechts. Er kam auf mich zu, die grüne OP-Kleidung zeichnete sich im schattenhaften Flur als blasser Schimmer ab. Ich hörte, wie der Mechanismus anhielt. Er schien jetzt schneller zu gehen, war aber immer noch etwa zwanzig Meter von mir entfernt. Da gingen die Fahrstuhltüren auf. Oh, Mann!
    Ich machte einen Schritt nach vorn und bemerkte im selben Moment, daß da nichts war außer einem klaffenden Schacht und einem kalten Luftzug, der von unten heraufwehte. Ich konnte mich im letzten Augenblick noch festhalten, um nicht in dieses pechschwarze Loch zu fallen. Ein unterdrückter Schrei entfuhr mir, als ich mich am Türrahmen festklammerte, aber noch einen Moment lang über dem Abgrund schwebte, bevor es mir gelang, mich wieder aufzurichten. Dann stolperte ich nach hinten in Sicherheit, hatte allerdings meine gute Position verloren. Ich ging zu Boden, die Dachlatte flog mir aus der Hand und rutschte weg. Ich schnellte vor und kroch auf Händen und Füßen über den Boden, um an das Ding zu kommen.
    Inzwischen war er bis zu mir herangekommen. Er packte mich an den Haaren und zog mich im gleichen Augenblick hoch, in dem ich die Latte zu fassen kriegte. Ich holte aus und versetzte ihm damit einen Hieb. Ich traf ihn zwar, doch war der Winkel nicht gut gewählt gewesen, so daß keine Kraft hinter dem Schlag steckte. Da spürte ich, wie die Nadel in meinen linken Oberschenkel eindrang. Wir stießen beide gleichzeitig einen Schrei aus. Meiner war eher ein schrilles Kreischen, das von Schmerz und Überraschung zeugte, sein dumpfes Grunzen zeigte an, daß er die Wirkung des Schlages registriert hatte. Ich hatte einen Vorsprung von einem Bruchteil einer Sekunde und nutzte den Augenblick, um ihm seitlich einen Tritt zu versetzen, der ihn am Schienbein traf. Nicht gut getroffen, zu tief. Die Kunst der Selbstverteidigung lehrt einen, daß es gar keinen Zweck hat, seinem Angreifer einfach nur Schmerzen zuzufügen. Das reizt ihn nur um so mehr. Wenn ich ihn nicht außer Gefecht setzen konnte, hatte ich keine Chance.
    Daraufhin packte er mich von hinten. Ich stieß meinen linken Ellenbogen zurück, verfehlte ihn aber wieder leicht. Ich stieß ihn und trat immer wieder vor sein Schienbein, bis er keuchend

Weitere Kostenlose Bücher