Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
gehen.«
Eine Stimme mischte sich ein. »Gibt es Probleme?«
Derek Wenner näherte sich von der Galerie aus, den Highball in der Hand. Er war ein Mann, der einmal gut ausgesehen hatte. Von mittlerer Größe, hellhaarig, graue Augen, die von einer Brille mit Stahlfassung vergrößert wurden. Wohlwollend geschätzt, war er jetzt Ende Vierzig und hatte solide dreißig Pfund Übergewicht. Er hatte das aufgedunsene, gerötete Gesicht eines Mannes, der zuviel trinkt. Seine Haargrenze hatte sich auf ein breites U zurückgezogen, das einen Ausläufer dünner werdenden Haares in der Mitte zurückgelassen hatte, kurz geschoren und zur Seite gekämmt. Die überzähligen Pfunde hatten ihm ein Doppelkinn und einen breiten Hals eingebracht, der den Kragen seines Frackhemdes zu eng erscheinen ließ. Seine Gabardinehose mit Bügelfalte sah teuer aus, genau wie seine Slipper, die braun-weiß waren und ins Leder gestanzte Löcher hatten. Vorher hatte er noch ein Sakko getragen, aber das hatte er zusammen mit seiner Krawatte abgelegt. Erleichtert knöpfte er sich den Kragen auf.
»Was ist los? Wo ist Kitty? Deine Mutter möchte wissen, warum sie sich nicht zu uns gesellt hat.«
Bobby schien verwirrt. »Ich weiß nicht. Sie hat mit uns gesprochen, und sie ist eingeschlafen.«
»Eingeschlafen« schien mir ein bißchen untertrieben. Kittys Gesicht hatte die Farbe eines Plastikrings gehabt, den ich als Kind mal weggegeben habe. Der Ring war weiß gewesen, aber wenn man ihn eine Weile ans Licht hielt und dann die Hand darüberhielt, leuchtete er schwach grün. Das zeugte in meinen Augen nicht gerade von guter Gesundheit.
»Mist, ich rede lieber mal mit ihr«, sagte er. Ich mußte nicht erst raten, daß er alle Hände voll mit ihr zu tun hatte. Er öffnete die Tür und betrat Kittys Zimmer.
Bobby sah mich mit einem Blick an, der zum Teil Bestürzung, zum Teil Angst ausdrückte. Ich schaute durch die offene Tür hinein. Derek stellte seinen Drink auf den Tisch und setzte sich auf Kittys Bett.
»Kitty?«
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und schüttelte sie sanft. Keine Reaktion. »He, komm schon, Liebling. Wach auf.«
Er warf mir einen besorgten Blick zu.
Dann schüttelte er Kitty etwas rauher. »Los, komm. Wach auf.«
»Möchten Sie, daß ich einen der Ärzte von unten hole?« fragte ich. Er schüttelte sie wieder. Ich wartete die Antwort nicht ab.
Ich zog meine Schuhe aus, ließ meine Handtasche an der Tür stehen und lief zur Treppe.
Als ich zum Wohnzimmer kam, schaute Glen Callahan zu mir herüber. Offensichtlich spürte sie, daß etwas nicht stimmte.
Sie kam näher. »Wo ist Bobby?«
»Oben bei Kitty. Ich glaube, es wäre vielleicht besser, wenn mal jemand nach ihr sieht. Sie ist bewußtlos geworden, und Ihr Mann hat Mühe, sie wachzubekommen.«
»Ich hole Leo.«
Ich beobachtete, wie sie sich Dr. Kleinert näherte und flüsternd mit ihm sprach. Er sah zu mir herüber und entschuldigte sich dann bei seinen Gesprächspartnern. Wir drei gingen hinauf.
Bobby leistete Derek auf Kittys Bettkante Gesellschaft, das Gesicht vor Sorge zerknittert. Derek versuchte, Kitty in eine sitzende Haltung zu ziehen, doch sie sackte zur Seite weg. Dr. Kleinert lief eilig hin und schob die beiden Männer aus dem Weg. Schnell checkte er ihre Lebenszeichen und zog eine kleine Taschenlampe aus der Innentasche seines Anzugs. Ihre Pupillen hatten sich auf Stecknadelkopfgröße zusammengezogen, und die grünen Augen wirkten aus meiner Sicht milchig und leblos. Augenscheinlich reagierten sie kaum auf das Licht, das er erst in dem einen, dann in dem anderen aufblitzen ließ. Ihr Atem war flach und langsam und ihre Muskeln schlaff. Dr. Kleinert langte nach dem Telefon, das am Bett auf dem Fußboden stand, und wählte 911.
Glen blieb in der Tür stehen. »Was ist los?«
Kleinert ignorierte sie und sprach mit der Unfallstation.
»Hier ist Dr. Leo Kleinert. Ich brauche einen Krankenwagen, zur West Glen Road in Montebello. Ich habe einen Patienten hier, der eine Barbituratvergiftung hat.« Er gab die Adresse und eine kurze Beschreibung des Weges durch. Dann legte er auf und sah Bobby an. »Hast du eine Ahnung, was sie genommen hat?«
Bobby schüttelte den Kopf.
Derek reagierte und sagte an Glen gewandt: »Vor einer halben Stunde ging es ihr noch gut. Ich habe selbst mit ihr gesprochen.«
»O Derek. Um Gottes willen«, sagte er verärgert.
Kleinert lehnte sich vor und öffnete die Nachttischschublade. Er wühlte sich durch einigen Krempel,
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