Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
dachte, jemand hätte mir erzählt, sie kommt aus Idaho.«
»Oh, sie hat überall gelebt. In ihrem Herzen ist sie eine Zigeunerin. Sie ist dabei, sogar mich zu überreden. Weißt du, einfach in den Sonnenuntergang fahren, ‘n großes Wohnmobil und eine Karte der Staaten. Fahren, wohin die Straße uns bringt. Ich fühle mich, als hätte sie mir zwanzig Jahre meines Lebens geschenkt.«
Ich hätte ihn gern genauer befragt, aber ich hörte Lilas »Juhuu« an der Gittertür. Ihr Gesicht erschien, von feschen Locken eingerahmt. Sie legte eine Hand an die Wange, als sie mich sah, und wurde ganz schüchtern und verlegen.
»O Kinsey. Ich wette, ich weiß, warum Sie hier sind«, sagte sie. Sie kam in die Küche und blieb einen Moment lang stehen, die Hände vor der Brust gefaltet, als wolle sie im nächsten Moment zum Gebet auf die Knie fallen. »Sagen Sie jetzt bitte nichts, bis ich das los bin«, fuhr sie fort. Sie hielt inne, um Henry anzuschauen. »O Henry, du hast ihr doch gesagt, wie sehr es mir leid tut, daß ich so ein Theater gemacht habe.« Sie benutzte eine besonders mädchenhafte Stimme.
Henry legte einen Arm um sie und drückte sie kurz. »Ich habe schon alles erklärt, und ich bin sicher, daß sie es versteht«, versicherte er. »Ich möchte nicht, daß du dir noch weiter Sorgen darüber machst.«
»Aber ich mache mir Sorgen, Puddy, und ich werde mich nicht wohlfühlen, bevor ich es nicht selbst gesagt habe.«
Puddy?
Sie kam zu dem Stuhl, auf dem ich saß, und ergriff meine rechte Hand, die sie zwischen ihren Händen drückte.
»Es tut mir so leid. Ich muß mich wirklich entschuldigen, daß ich Ihnen so etwas gesagt habe, und ich bitte Sie um Vergebung.« Ihre Stimme klang zerknirscht, und ich dachte, Puddy müßte den Tränen nahe sein. Sie sah mir tief in die Augen, und ein paar ihrer Ringe gruben sich ziemlich schmerzhaft in meine Finger. Offenbar hatte sie die Ringe herumgedreht, so daß die Steine sich auf der Handinnenfläche befanden und jetzt einen maximalen Effekt erzielten, als sie ihren Griff verstärkte. »Ach, das geht schon in Ordnung«, meinte ich. »Denken Sie nicht weiter darüber nach. Ich werde es sicher auch nicht mehr tun.«
Um ihr zu beweisen, was für ein feiner Mensch ich war, stand ich auf und legte meinen linken Arm um sie, genau wie Henry es getan hatte. Dann drückte ich sie ebenfalls ganz leicht, wobei ich meinen Fuß auf die Spitze ihres rechten Schuhs stellte und mich etwas vorbeugte. Sie zog ihren Oberkörper zurück, aber ich schaffte es, meinen Fuß an der Stelle zu halten, wo er war, so daß wir nun Hüfte an Hüfte standen. Einen Moment lang starrten wir uns an. Dann lächelte sie schmierig und lockerte ihren Griff. Ich verlagerte das Gewicht von meinem Fuß, aber erst, nachdem sich hoch oben auf ihren Wangen zwei Farbflecken gebildet hatten wie bei einem Nymphensittich.
Puddy schien erfreut, daß wir zu diesem neuen Verständnis füreinander gefunden hatten, und ich war es auch. Ich entschuldigte mich und ging kurz darauf. Bis dahin hatte Lila mich nicht mehr angesehen, und ich stellte fest, daß sie sich abrupt hingesetzt und einen Schuh ausgezogen hatte.
17
Ich ging in mein Appartement, goß mir ein Glas Wein ein und machte mir dann ein Sandwich mit Schmelzkäse, dünn geschnittenen Gurken und Zwiebeln auf Vollkornbrot. Ich schnitt es halb durch, benützte ein Stück Küchenkrepp als Kombination aus Serviette und Teller und transportierte Sandwich und Weinglas ins Badezimmer. Dann öffnete ich das Badezimmerfenster einen Spaltbreit und aß stehend in der Badewanne. Hin und wieder spähte ich hinaus, um zu sehen, ob Henry und Lila zu ihrer Dinnerverabredung fuhren. Um Viertel vor sieben kamen sie um die Hausecke. Henry schloß den Wagen auf und öffnete ihr die Beifahrertür. Ich begab mich vorsichtig in eine aufrechte Haltung und duckte mich dann außer Sicht, bis ich hörte, wie er den Wagen anließ und losfuhr.
Bis dahin hatte ich mein Abendessen beendet und brauchte hinsichtlich des Geschirrspülens lediglich mein Papiertuch zusammenzurollen und in den Abfall zu werfen, wobei ich außerordentlich zufrieden mit mir war. Ich vertauschte meine Sandalen mit Turnschuhen, schnappte mir meinen Hauptschlüssel, die Dietriche, das Taschenmesser und eine Taschenlampe und ging dann den Block hinunter zu Moza Lowensteins Haus. Ich klingelte. Verwirrt sah sie mich aus dem Seitenfenster heraus an und öffnete dann die Tür.
»Ich konnte mir nicht vorstellen, wer das um
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