Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
ging hin und warf einen Blick nach draußen. Durch ein Gitter, das in den alten Holzrahmen hineingerostet war, erblickte ich ein Stück des hinteren Hofes. Ich sah auf die Uhr. Es war erst sieben. Sie würden mindestens eine Stunde fort sein, so daß ich mich nicht um einen Notausgang kümmern mußte. Andererseits hatte es keinen Sinn, in dieser Beziehung nachlässig zu sein. Ich ging wieder zur Tür, öffnete sie und ließ sie angelehnt. Moza hatte den Fernsehapparat ausgeschaltet, und ich stellte mir vor, wie sie durch die vorderen Vorhänge spähte, das Herz in der Hose, also ungefähr da, wo sich meines befand.
Es war immer noch hell draußen, doch das Zimmer wirkte trotz der eingeschalteten Deckenlampe düster. Ich fing mit der Kommode an. Erst verschaffte ich mir vorsorglich einen Überblick, um eventuelle simple Sicherheitsvorkehrungen aufzuspüren. Selbstverständlich hatte Lila ein paar Schubladen mit Fallen versehen, indem sie heimlich eine Haarsträhne über dem Spalt angebracht hatte. Ich entfernte die schönen Stücke und legte sie vorsichtig auf den handgestickten Läufer obenauf.
Die erste Schublade enthielt ein Durcheinander aus Schmuck, verschiedenen zusammengerollten Gürteln, gestickten Taschentüchern, einem Uhrenetui, Haarnadeln, ein paar einzelnen Knöpfen und zwei Paar weißen Baumwollhandschuhen. Ohne etwas zu berühren, starrte ich lange darauf und fragte mich, warum irgend etwas darin eine schützende Haarsträhne erforderlich machte. Sicher, wahrscheinlich würde jeder, der in Lilas Sachen herumschnüffelte, hier anfangen und sich runterarbeiten, so daß sie ihr vielleicht bloß als ständiger Hinweis diente — eine Art Sofortkontrolle, die sie jedes Mal, wenn sie nach Hause kam, schnell inspizierte. Ich versuchte es mit der nächsten Schublade, die mit ordentlichen Stapeln von Nylonunterhosen gefüllt war. Ziemlich großen, wie sie alte Damen tragen. Versuchsweise fuhr ich mit dem Finger zwischen die Stapel, wobei ich darauf achtgab, die Ordnung nicht zu zerstören. Ich konnte nichts Besonderes ertasten, keine Waffe, keine nicht identifizierbaren Schachteln, keine Unebenheiten.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, öffnete ich die erste Schublade noch einmal und schaute auf die untere Seite. Es war nichts darunter festgeklebt. Ich zog die ganze Schublade heraus und untersuchte die hintere Seite. Hallo! Eins zu null für mich. Ein Briefumschlag, der in einer Plastikhülle steckte, war am hinteren Brett der Schublade befestigt und an allen vier Seiten mit Kreppband gesichert. Ich nahm mein Taschenmesser, schob die kleine Klinge unter eine Ecke des Klebebands und zog es ab, so daß ich den Briefumschlag aus seiner Plastikhülle nehmen konnte. Darin steckte ein Führerschein aus Idaho, ausgestellt auf den Namen Delilah Sampson. Diese Frau hatte geradezu einen biblischen Sinn für Humor. Ich notierte mir Adresse, Geburtsdatum, Größe, Gewicht, Haar- und Augenfarbe, von dem das meiste auf die Frau zuzutreffen schien, die ich als Lila Sams kannte. Da hatte ich einen wirklich großen Wurf getan. Ich steckte den Führerschein in den Umschlag zurück, brachte den Umschlag in sein Versteck und drückte das Kreppband fest gegen das Holz. Kritisch warf ich einen Blick auf mein Werk. Sah in meinen Augen unberührt aus, es sei denn, sie hätte alles mit irgendeinem Zauberstaub gepudert, der meine Hände knallrot färbte, sobald ich sie das nächstemal wusch. Der Hexe wäre das zuzutrauen!
Die Rückseite der zweiten Schublade wurde ebenfalls als kleiner Safe benutzt und enthielt einen Stapel Kreditkarten und noch einen weiteren Führerschein. Der Name lautete dieses Mal Delia Sims, mit einer Adresse in Las Cruces, New Mexico, und demselben Geburtsdatum wie auf dem ersten. Wieder schrieb ich mir die Einzelheiten auf und brachte das Dokument vorsichtig in sein Versteck zurück. Dann setzte ich die Schublade wieder ein und sah schnell auf die Uhr. Sieben Uhr zweiunddreißig. Das war noch okay, aber ich hatte nach wie vor eine Menge zu tun. Ich setzte meine Suche fort, arbeitete mit viel Feingefühl und ließ den Inhalt der jeweiligen Schublade unangetastet. Als ich mit der Kommode fertig war, nahm ich die beiden Haare wieder an mich und befestigte sie erneut über den Schubladenöffnungen.
Der Frisiertisch brachte gar nichts, und die Nachttische waren ebenfalls sauber. Ich ging den Schrank durch und suchte in Manteltaschen, Koffern, Flandtaschen und Schuhkartons. Einer von denen enthielt die Rechnung
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