Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
Ich glaube, daß Bobby keine besonders hohe Meinung von mir hatte. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin ein wenig besorgt darüber, wie das alles aussehen wird. Bobby behauptet, jemand versucht ihn umzubringen, und dann stellt sich heraus, daß Kitty sein ganzes Geld erbt, wenn er stirbt.«
»Ich bin sicher, daß die Polizei sich mit ihr unterhalten wird.«
»Aber Sie glauben nicht, daß sie etwas mit Bobbys Unfall zu tun haben könnte, nicht wahr?«
Aha, der Grund seines Besuches.
»Ehrlich gesagt, kann ich es mir nicht vorstellen, aber das Morddezernat könnte das anders sehen. Möglicherweise werden Sie auch unter die Lupe genommen, wenn sie einmal dabei sind.«
»Ich?!« Er brachte es wirklich fertig, eine Menge Betonung in eine einzige Silbe zu legen.
»Was wäre, wenn Kitty etwas zustößt? Wer bekommt dann das Geld? Sie ist nicht gerade in bester gesundheitlicher Verfassung.«
Unbehaglich sah er mich an und wünschte wahrscheinlich, niemals hergekommen zu sein. Er muß die vage Hoffnung gehegt haben, daß ich ihn beruhigen könnte. Statt dessen hatte ich die Grundlage seiner Befürchtungen noch erweitert. Kurz darauf beendete er das Gespräch, stand auf und sagte, er würde sich wieder melden. Als er sich zum Gehen wandte, sah ich, daß ihm das Polohemd am Rücken klebte, und ich konnte die Anspannung in seinem Schweiß riechen.
»Ach, Derek«, rief ich ihm hinterher. »Sagt Ihnen der Name Blackman etwas?«
»Nicht daß ich wüßte. Warum?«
»Nur so ‘ne Frage. Ich danke Ihnen, daß Sie reingeschaut haben«, fügte ich hinzu. »Wenn Sie etwas Neues rausfinden, lassen Sie es mich bitte wissen.«
»Mach ich.«
Nachdem er gegangen war, rief ich kurz einen Freund von mir an, der bei der Telefongesellschaft arbeitet, und fragte ihn nach S. Blackman. Er sagte, er werde das nachprüfen und mich zurückrufen. Ich ging zum Parkplatz hinunter und zog den Pappkarton hervor, den ich aus Bobbys Garage mitgenommen hatte. Dann ging ich wieder ins Büro und sah mir den Inhalt an, indem ich ein Teil nach dem anderen herausnahm. Es war genauso, wie ich es in Erinnerung hatte: zwei Röntgenanleitungen, einige medizinische Texte, Büroklammern, Filzstifte, Notizblöcke. Nichts von Bedeutung, soweit ich das sehen konnte. Ich schleppte die Kiste wieder runter und schob sie mit dem Vorsatz auf den Rücksitz zurück, sie bei nächster Gelegenheit wieder Bobbys Familie zu übergeben.
Und der nächste Versuch? Mir fiel rein gar nichts ein.
Ich fuhr nach Hause.
Als ich vor dem Haus einparkte, ertappte ich mich dabei, wie ich den Weg nach Anzeichen von Lila Sams absuchte. Für eine Frau, die ich erst drei- oder viermal im Leben gesehen hatte, schien sie eine etwas zu große Bedeutung anzunehmen. Sie verdarb jedes Gefühl von Gemütlichkeit, das ich mit der Vorstellung von »zu Hause« verband. Ich verschloß meinen Wagen, ging ums Haus herum auf den Hof und warf einen schnellen Blick zur Rückseite von Henrys Haus, um zu sehen, ob er da war. Die Flintertür stand offen, und ich roch den würzigen Duft von Hefe und Zimt durch die Gittertür. Ich schaute hinein und erblickte Henry, der mit einem Becher Kaffee und der Nachmittagszeitung vor ihm am Tisch stand.
»Henry?«
Er schaute hoch. »Ach, Kinsey. Da bist du ja.« Er kam herüber, klinkte die Tür auf und hielt sie offen. »Komm rein, komm rein. Möchtest du einen Kaffee? Ich habe grade ein Blech süßer Brötchen im Ofen, die jeden Moment fertig sein müßten.«
Zögernd trat ich ein, immer noch halb in der Erwartung, Lila Sams wie von der Tarantel gestochen aufspringen zu sehen. »Ich wollte nicht stören«, meinte ich. »Ist Lila da?«
»Nein, nein. Sie hatte ein paar Dinge zu erledigen, aber sie wird gegen sechs zurück sein. Ich habe sie für heute abend zum Essen eingeladen. Wir haben eine Reservierung im Crystal Palace.«
»Oh, wie beeindruckend«, bemerkte ich. Henry zog einen Stuhl für mich heran und goß mir Kaffee ein, während ich mich umsah. Lila hatte offensichtlich ihre zarte Hand an die Wohnung gelegt. Die Vorhänge waren neu: avocadogrüne Baumwolle, bedruckt mit Salz- und Pfefferstreuern, Gemüsebüscheln und Holzlöffeln. Sie wurden von grünen Schleifen zurückgehalten. Passend dazu gab es Tischdeckchen und Servietten mit Accessoires in einem kontrastierenden Kürbisfarbton. Auf dem Schrank stand ein neuer Untersatz mit einem häuslichen Spruch in schmiedeeisernen Schnörkeln. Ich glaubte zu lesen »Gott segne unsere Kekse«, aber das wird wohl
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