Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
Benehmen denken. Im übrigen hatte der Idiot jetzt meinen Geruch in der Nase und war wild darauf, auch Fühlung aufzunehmen. Es gab keine Möglichkeit, näher an das Haus heranzukommen, ohne dessen Bewohner zu alarmieren. Wahrscheinlich wunderten sie sich jetzt schon, was den guten alten Wauwau dazu brachte, sich vor Aufregung naß zu machen. Wie ich solche Leute kannte, würden sie ihn von seiner Elefanten-Kette befreien und ihn mit auf dem Asphalt kratzenden Krallen die Einfahrt hinunter hinter mir herhetzen. Ich bin schon einmal von Hunden gejagt worden, und das war kein besonderes Vergnügen.
Ich drehte mich um und ging zum Wagen zurück. Gesunder Menschenverstand ist im Detektivgeschäft keine Schande. Eine Stunde lang beobachtete ich das Haus, doch es gab keine Anzeichen irgendwelcher Aktivitäten. Langsam wurde ich müde, und das Ganze kam mir immer mehr wie Zeitverschwendung vor. Schließlich ließ ich den Motor an und legte den Gang ein. Die Scheinwerfer schaltete ich erst ein, als ich wieder durch das Haupttor gefahren war.
Als ich zu Hause ankam, war ich erschöpft. Schnell machte ich mir ein paar Notizen und hörte dann für diesen Tag auf. Es war fast ein Uhr, als ich endlich das Licht ausknipste.
Um sechs stand ich auf und absolvierte einen drei Meilen langen Lauf, einfach um den Kopf klar zu bekommen. Dann erledigte ich schnell den morgendlichen Waschvorgang, schnappte mir einen Apfel und erreichte gegen sieben das Büro. Es war Dienstag, und ich war dankbar, daß ich an diesem Tag keinen Termin für die Krankengymnastik hatte. Als ich jetzt daran dachte, fiel mir auf, daß es meinem Arm ganz gut ging. Vielleicht wurde ich durch meine Beschäftigung mit den Ermittlungen von möglicherweise zurückgebliebenen Schmerzen oder Unbeweglichkeiten einfach abgelenkt.
Auf dem Band meines Anrufbeantworters befanden sich keine Nachrichten, und es gab auch keine Post vom Vortag, die erledigt werden mußte. Ich zog mein großes Adreßbuch hervor und sah die Hausnummern auf der Los Piratas durch. Ja, ja, das hätte ich mir denken können. Fraker, James und Nola. Ich fragte mich, wen von beiden Sufi aufgesucht hatte und warum sie es so eilig gehabt hatte. Es war natürlich möglich, daß sie sich mit beiden beraten hatte, doch das konnte ich mir nicht so recht vorstellen. Könnte Nola die Frau gewesen sein, in die Bobby sich verliebt hatte? Mir war nicht klar, was Dr. Fraker damit zu tun hatte, aber irgend etwas war hier auf jeden Fall faul.
Ich nahm Bobbys Adreßbuch und versuchte es mit der Nummer von Blackman. Die Antwort war die Tonbandstimme dieser Frau, die sich anhört wie eine gute Fee in einem Zeichentrickfilm von Walt Disney. »Zu unserem Bedauern gibt es unter der von Ihnen gewählten Telefonnummer im Bereich der Vorwahl acht-null-fünf keinen Anschluß. Bitte überprüfen Sie die Nummer und wählen Sie noch einmal. Danke.« Ich probierte andere Vorwahlnummern der Umgebung aus. Kein Erfolg. Ich verbrachte eine ganze Weile damit, die anderen Eintragungen in dem Buch durchzusehen. Wenn alles fehlschlug, würde ich hier sitzen bleiben und mich mit jeder einzelnen Person der Reihe nach in Verbindung setzen müssen. Doch das schien eine etwas langweilige Aussicht und nicht unbedingt produktiv zu sein. Und in der Zwischenzeit?
Es war noch zu früh am Morgen, um irgendwo zu Hause anzurufen, aber mir fiel ein, daß ein Besuch bei Kitty möglich sein müßte. Sie lag immer noch im St. Terry und war wahrscheinlich in Anbetracht der Krankenhausroutine schon bei Morgengrauen aus dem Schlaf gerüttelt worden. Ich hatte sie sowieso schon seit Tagen nicht mehr gesehen, und vielleicht konnte sie mir weiterhelfen.
Die Kühle des Vortages war verschwunden. Die Luft war rein und die Sonne bereits warm. Ich bugsierte meinen VW in die letzte freie Lücke auf dem Besucherparkplatz und ging um das Gebäude herum zum Vordereingang. Der Informations-Schalter in der Vorhalle war nicht besetzt, aber das Krankenhaus selbst befand sich in vollem Betrieb. Die Cafeteria war überfüllt, und ein Geruch nach Cholesterin und Koffein waberte unwiderstehlich durch die offene Tür. Im Geschenkladen brannte Licht. An der Kasse herrschte reger Betrieb — junge weibliche Angestellte bereiteten Endabrechnungen vor, als sei dies ein Grand Hotel kurz vor dem Abreisetermin. Es herrschte eine aufgeregte Atmosphäre. Das medizinische Personal beschleunigte seinen Rhythmus für all die Geburten und Todesfälle und komplizierten Operationen, die
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