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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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dezent, schien aber die Blässe ihrer Wangen nur noch zu betonen. Sie trug ein Strickkleid in einem Rotton, der zu grell für sie war. »Hallo Kinsey. Kommen Sie, setzen Sie sich«, begrüßte sie mich.
    Ich setzte mich in den karierten Sessel. »Wie geht es Ihnen?«
    »Nicht so gut. Ich ertappe mich dabei, den größten Teil des Tages hier oben zu verbringen. Einfach dazusitzen. Auf Bobby zu warten.«
    Ihr Blick streifte meinen. »Ich meine das natürlich nicht wörtlich. Ich bin ein viel zu rationaler Mensch, um daran zu glauben, daß die Toten zurückkehren. Ich denke bloß immer, daß es da noch irgend etwas geben muß, daß es noch nicht vorbei sein kann. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Nein, nicht ganz.«
    Sie starrte auf den Boden und versuchte offenbar einer inneren Stimme zu lauschen. »Zum Teil ist es wohl ein Gefühl von Verrat, glaube ich. Ich war tapfer, und ich habe alles getan, was man von mir erwartete. Ich war Mitglied dieser Schauspieltruppe, und jetzt möchte ich meine Bezahlung. Doch der einzige Lohn, der mich interessiert, ist, Bobby zurückzubekommen. Also warte ich.« Ihr Blick wanderte im Raum herum, als ob sie eine Fotoserie anfertigte. Ihr Verhalten erschien mir so hohl, trotz des emotionalen Inhalts ihrer Worte. Es war merkwürdig, als redete man mit einem Roboter. Sie sagte Menschliches, tat es aber mechanisch. »Sehen Sie das?«
    Ich folgte ihrem Blick. Auf dem weißen Teppichboden waren immer noch Bobbys Fußabdrücke zu erkennen.
    »Ich werde diesen Raum nicht staubsaugen lassen«, meinte sie. »Ich weiß, daß das dumm ist. Ich will mich nicht in eine dieser schrecklichen Frauen verwandeln, die Totenschreine errichten und alles genauso lassen, wie es war. Aber ich will nicht, daß er ausradiert wird. Ich will nicht, daß er einfach so weggewischt wird. Ich will nicht einmal seine Sachen aussortieren.«
    »Es ist doch auch nicht unbedingt nötig, schon etwas zu unternehmen, oder?«
    »Nein, ich glaube nicht. Ich weiß sowieso nicht, was ich mit diesem Zimmer machen soll. Ich habe Dutzende, und alle sind leer. Es ist nicht so, daß ich es in ein Nähzimmer oder ein Atelier umwandeln müßte.«
    »Achten Sie denn sonst auf sich?«
    »O ja. Ich bin zu klug, es nicht zu tun. Ich habe das Gefühl, als sei der Kummer eine Krankheit, von der ich mich nicht erholen kann. Was mich beunruhigt, ist, daß ich einen gewissen Reiz an diesem Vorgang bemerke, der schwer aufzugeben ist. Es ist schmerzhaft, aber so kann ich mich zumindest ihm nahe fühlen. Hin und wieder ertappe ich mich dabei, daß ich an etwas anderes denke, und dann habe ich ein schlechtes Gewissen. Es kommt mir treulos vor, wenn es mal nicht schmerzt, treulos, auch nur einen Moment lang zu vergessen, daß er nicht mehr da ist.«
    »Werden Sie nicht zu streng mit sich, so daß Sie mehr als nötig leiden«, entgegnete ich.
    »Ja, ich weiß. Ich versuche mich schon davon abzubringen. Jeden Tag trauere ich ein bißchen weniger. Als würde ich aufhören zu rauchen. In der Zwischenzeit gebe ich vor, ein starker Mensch zu sein, doch ich bin es nicht. Ich wünschte, mir fiele etwas ein, das mich heilen könnte. O Gott, ich sollte nicht ständig darüber reden. Das ist wie mit jemandem, der einen Herzinfarkt oder eine schwere Operation hatte. Ich kann nur darüber sprechen. So egozentrisch.«
    Wieder hielt sie inne, dann schien sie sich plötzlich ihrer höflichen Umgangsformen zu besinnen. Sie blickte mich an. »Was haben Sie gemacht?«
    »Ich war heute morgen im St. Terry, um Kitty zu besuchen.«
    »Ja?« Glens Miene zeigte keinerlei Interesse.
    »Können Sie vielleicht mal bei ihr vorbeischauen?«
    »Ganz bestimmt nicht. Erstens bin ich wütend, daß sie lebt und Bobby nicht. Ich hasse es, daß er ihr sein ganzes Geld hinterlassen hat. Wenn Sie mich fragen, ist sie habgierig, selbstzerstörerisch, manipuliert andere —« Sie brach ab und schloß den Mund. Einen Moment lang schwieg sie. »Tut mir leid. Ich wollte nicht so heftig werden. Ich habe sie nie gemocht. Die bloße Tatsache, daß sie jetzt in Schwierigkeiten ist, ändert daran gar nichts. Das hat sie sich selbst angetan. Sie hat geglaubt, es gäbe immer jemanden, der sie da herausboxt, aber das werde nicht ich sein. Und Derek ist dazu nicht in der Lage.«
    »Ich habe gehört, er ist ausgezogen.«
    Sie bewegte sich unruhig. »Wir hatten einen fürchterlichen Streit. Ich dachte schon, ich würde ihn nie hier rausbekommen. Schließlich mußte ich einen der Gärtner rufen. Ich

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