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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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war, lange ehe ich begriff, was es war. Die Tür auf der Beifahrerseite meines Wagens stand offen. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
    »O nein«, sagte ich.
    Vorsichtig näherte ich mich, als könnte das Auto eine Falle sein. Es sah aus, als hätte jemand einen Kleiderbügel durch das kleine Dreiecksfenster geschoben, um das Schloß zu öffnen. Als das nicht gelang, hatte das Arschloch einfach das Fenster auf der Beifahrerseite eingeschlagen und die Tür geöffnet. Das Handschuhfach war offen, der Inhalt ergoß sich über den Vordersitz. Meine Handtasche fehlte. Das erweckte Zorn, dem aber schnell Furcht folgte. Ich schob den Sitz vor und angelte nach meinem Aktenkoffer. Der Riemen war durchgeschnitten, und meine Pistole war weg.
    »O nein!« heulte ich. Ich fluchte. In der High-School hatte ich mich mit ein paar bösen Buben herumgetrieben, die mir beigebracht hatten, perfekt zu fluchen. Ich versuchte ein paar Kombinationen, an die ich seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich das Zeug so offen auf dem Sitz hatte liegen lassen, und wütend auf den Kerl, der mich beraubt hatte. Mein Wagen war einer der letzten auf dem Parkplatz, und wahrscheinlich war er so auffällig gewesen wie eine Boje. Ich knallte die Autotür zu und trabte über die Straße, noch immer barfuß. Dabei gestikulierte ich wild und murmelte vor mich hin wie eine Irre. Ich hatte nicht einmal genügend Kleingeld, um die Cops zu rufen.
    In der Nähe gab es eine Hamburger-Bude, und ich konnte den Koch überreden, für mich anzurufen. Dann ging ich zurück und wartete, bis der Streifenwagen eintraf. Ich hatte die Streifenbeamten Pettigrew und Gutierrez (beziehungsweise Gerald und Maria) ein paar Monate vorher kennengelernt, als sie in meiner Nachbarschaft jemanden verhaftet hatten.
    Jetzt nahm sie meinen Bericht auf, während er mitfühlende Töne von sich gab. Irgendwie gelang es den beiden, mich, soweit das möglich war, zu trösten. Sie baten um jemanden von der Spurensicherung, der freundlicherweise auch kam und nach Fingerabdrücken suchte. Wir wußten alle, daß es sinnlos war, aber trotzdem fühlte ich mich besser. Pettigrew versprach, im Computer nach der Seriennummer meiner Waffe zu suchen, die Gott sei Dank registriert war. Vielleicht würde sie später in einer Pfandleihe wiederauftauchen, und ich würde sie zurückbekommen.
    Ich liebe meine kleine Halbautomatik, die ich schon seit Jahren besitze... ein Geschenk der Tante, die mich nach dem Tod meiner Eltern aufzog. Diese Waffe war mein Vermächtnis, sie stellte das merkwürdige Band zwischen uns dar. Sie hatte mir das Schießen beigebracht, als ich acht Jahre alt war. Sie hatte nie geheiratet, nie eigene Kinder gehabt. An mir hatte sie ihre vielen sonderbaren Einstellungen über das Formen eines weiblichen Charakters ausprobiert. Das Abfeuern einer Handwaffe, so glaubte sie, würde mich lehren, sowohl Sicherheit als auch Genauigkeit zu schätzen. Außerdem würde es mir bei der Entwicklung einer guten Auge-Hand-Koordination behilflich sein, die sie für nützlich hielt. Sie brachte mir das Stricken und Häkeln bei, so daß ich Geduld und einen Blick für Details entwickelte. Sie weigerte sich, mir das Kochen beizubringen, denn das fand sie langweilig, und außerdem würde es mich nur fett machen. Fluchen war in Ordnung, solange ich im Haus war, aber in der Gesellschaft jener, die daran Anstoß nehmen könnten, wurde erwartet, daß wir unsere Sprache anpaßten. Sport war wichtig. Mode nicht. Lesen war wesentlich. Zwei von drei Krankheiten heilten sich selbst, sagte sie. Also konnte man Arzte im allgemeinen ignorieren, außer es hatte einen Unfall gegeben. Andererseits gab es keinen Grund dafür, schlechte Zähne zu haben, obwohl sie in Zahnärzten Menschen sah, die sich lächerliche Pläne für den menschlichen Mund ausdachten. Erst die alten Füllungen herauszubohren und sie dann durch Gold zu ersetzen war einer davon. Sie hatte Dutzende von Richtlinien, und an die meisten halte ich mich heute noch.
    Regel Nummer eins, vor allem und jedem, wichtiger als alles andere, war finanzielle Unabhängigkeit. Eine Frau sollte nie, niemals finanziell von irgend jemandem abhängig sein, schon gar nicht von einem Mann, denn in der Minute, in der man abhängig ist, kann man mißhandelt werden. Finanziell abhängige Menschen (die Jungen, die Alten, die Kranken) wurden unweigerlich schlecht behandelt und hatten keine Zuflucht. Eine Frau sollte immer eine Zuflucht haben.

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