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Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Kinsey Millhone 04 - Ruhelos

Titel: Kinsey Millhone 04 - Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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an, daß es wahrscheinlich auf dieser Seite des Bootslips gewesen war. Vor mir und zu meiner Rechten befand sich der Kinderpark mit seinen Spielplätzen und einem eingezäunten, flachen Pool.
    Im Fernsehen war ein Teil des Schwimmbaggers im Hintergrund zu sehen gewesen, unterbrochen von dem Wellenbrecher und einer Felsenlinie. Ich trabte weiter, bis ich die drei in derselben Art in einer Reihe hatte. Der trockene Sand war hier zertrampelt, und man konnte sehen, daß Fahrzeuge über den Strand gekommen waren. Dort, wo die Wellen ausgelaufen waren, hatten sie jegliche Spur von Aktivität ausgelöscht. Doch die Männer von der Spurensicherung hatten sicherlich alles so gründlich wie möglich untersucht. Ich überflog das ganze Gebiet, ohne zu erwarten, »Beweismittel« zu finden. Wenn man einen Mann ermordet, indem man ihn stockbetrunken aus einem Ruderboot wirft, dann gibt es anschließend keine verräterischen Spuren, die man beseitigen muß. Das Boot selbst hatte man einfach treiben lassen, und nach Jonahs Worten war es näher beim Pier angetrieben worden.
    Ich atmete tief den schweren Geruch des Meeres ein, sah dem unruhigen Rauschen der Wellen zu, drehte mich langsam um, bis der Ozean in meinem Rücken lag und ich zu der Hotelreihe auf der anderen Seite des Boulevards hinschaute. Daggett war scheinbar irgendwann zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh gestorben. Ich fragte mich, ob es etwas bringen würde, in der Nachbarschaft nach Zeugen zu suchen. Es war natürlich möglich, daß Daggett tatsächlich selbst die Leine des Bootes durchgeschnitten hatte, daß er allein aus dem Hafen gerudert war. Aber bei einem Alkoholpegel von 3,5 schien das unwahrscheinlich. Bei 4,0 Promille befindet sich ein Betrunkener in einem Zustand tiefer Bewußtlosigkeit und ist unfähig, ein Ruder zu bewegen. Er könnte natürlich erst aus dem Hafen gerudert sein, dann in dem schaukelnden Boot gesessen und sich betrunken haben, aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich sah immer wieder jemanden bei ihm...wartend, beobachtend... der schließlich seine Füße packte und ihn rücklings über Bord warf. »Eine Lektion in der Rolle rückwärts, Daggett. Mist, du hast es nicht geschafft. Zu dumm, Bursche. Jetzt mußt du sterben.«
    Ihn ins Boot zu locken war wohl mit einem Trick geschehen, so betrunken wie er war, aber der Rest dürfte eine Kleinigkeit gewesen sein.
    Ich schaute nach rechts. Ein alter Penner mit einem Einkaufswagen wühlte in einem Abfalleimer. Ich ging über den Sand auf ihn zu. Als ich näher kam, konnte ich sehen, daß seine Haut fast grau war von Schmutz, gebräunt vom Wind, mit einer Nuance Rosa darin von einem kürzlichen Sonnenbrand oder zuviel Mogen-David-Wein — unter Trebegängern besser bekannt als Mad Dog 20-20. Er sah aus, als wäre er über siebzig, und mehrere Schichten von Kleidung ließen ihn unförmig erscheinen. Er trug eine Schirmmütze, unter der sein graues Haar zottelig hervorhing. Er stank nach Moschus wie ein alter Büffel. Der Gestank ging in fast sichtbaren Wellenlinien von ihm aus wie in der Comiczeichnung eines Skunks.
    »Hallo«, sagte ich.
    Er ignorierte mich und ging weiter seiner Beschäftigung nach. Er zog ein Paar Schuhe hervor, inspizierte sie kurz, ehe er sie in eine seiner Plastiktüten stopfte. Eine zwei Tage alte Zeitung interessierte ihn nicht. Bierdosen? Ja, die schien er zu mögen. Eine Kentucky-Fried-Chicken-Tüte wurde verworfen. Ein Hemd? Er hielt es hoch, beäugte es mit kritischem Auge und stopfte es dann in die Tüte mit den Schuhen. Jemand hatte einen Ball mit einem Loch darin fortgeworfen. Der alte Mann legte ihn beiseite.
    »Haben Sie von dem Mann gehört, den sie gestern hier in der Brandung gefunden haben?« Keine Antwort. Ich kam mir vor wie eine Erscheinung, die ihn aus dem Niemandsland anrief. Ich hob die Stimme. »Ich habe gehört, jemand hier unten hätte ihn entdeckt und die Bullen angerufen. Wissen Sie zufällig, wer das war?«
    Ich schätzte, er hatte keine Lust, darüber zu sprechen. Resolut mied er jeglichen Blickkontakt. Ich hatte meine Handtasche nicht bei mir, also auch keine Visitenkarte oder einen Dollarschein als Empfehlung. Mir blieb keine andere Wahl, als die Sache fallenzulassen. Ich ging davon. Inzwischen hatte er sich bis ganz nach unten gewühlt, sein Kopf war kaum noch zu sehen. Soviel zu meiner Befragungs-Technik.
    Als ich schließlich zum Parkplatz zurückkehrte, war es noch dunkler geworden. So registrierte ich, daß etwas nicht in Ordnung

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