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Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke

Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke

Titel: Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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erzähle ich häufig eine Lüge, aber in diesem Fall stellte sich heraus, daß ich mit der Wahrheit am besten fuhr.
    »Kinsey, bist du das wirklich? Hier ist Ash. Wie geht’s dir?« fragte sie. Die Wood-Mädchen haben alle die gleiche Stimme; heiser und tief, mit einem Akzent, der im Tonfall den Südstaatlern ähnelt. Ihre Mutter stammte aus Alabama, wenn mein Gedächtnis nicht trog.
    »Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Wie geht es dir?«
    »Nun, Schätzchen, wir leben in einer Welt des Schmerzes«, antwortete sie. »Deshalb freue ich mich ja so, von dir zu hören. Lance hat erzählt, er hätte dich letzten Freitag in der Fabrik getroffen. Was ist passiert?«
    »Um dich das zu fragen, habe ich angerufen.«
    »Oje. Ich würde dich zu gern auf den neuesten Stand bringen. Hast du zufällig Zeit, mit mir zu Mittag zu essen?«
    »Für dich habe ich immer Zeit«, erklärte ich.
    Sie schlug vor, daß wir uns um 12.30 Uhr im Edgewater Hotel treffen sollten, was mir nur recht war. Ich mußte mich erst noch umziehen. Für gewöhnlich trage ich Stiefel oder Turnschuhe, hautenge Jeans und Rollkragenpullover oder Trägertop, je nach Wetter. Manchmal ziehe ich einen Blouson oder eine Jeansjacke drüber, und immer habe ich eine große lederne Schultertasche bei mir, in der sich manchmal (aber nicht oft) meine kleine .32er befindet. Ich war mir ziemlich sicher, daß Ashley nicht so in der Öffentlichkeit erscheinen würde. Also zog ich mein Allzweckkleid hervor, Strumpfhose und Pumps. Ich muß mir bald einmal was anderes zum Anziehen kaufen.

5

    Das Edgewater Hotel befindet sich auf einem riesigen Grundstück am Meer, nur durch gepflegte Rasenflächen vom Ozean getrennt. Eine Zufahrtstraße durchschneidet das Grün, keine zehn Schritt von der Brandung entfernt, mit einer kleinen Mauer aus Sandstein. Das Hauptgebäude ist im spanischen Stil errichtet, mit wuchtigen weißen Stuckwänden, Torbögen, tief eingelassenen Fenstern und einem leuchtendroten Ziegeldach. Ein von Glaswänden umgebener Patio ragt nach vorn heraus. Weiße Schirme an den Tischen schützen dort die Gäste vor Sonne und Wind. Das Grundstück ist mit Palmen, Hibiskus und Farn üppig bepflanzt, Blumenbeete strahlen rund ums Jahr in fröhlichem Pink, Purpur und Gold. Der Tag war kühl, der Himmel weiß wie Eis und bedeckt. Der schmuddelig olivgrüne Brandungsschaum wurde von den Ausläufern eines Sturms aufgewühlt, der nördlich an uns vorübergezogen war.
    Der livrierte Parkwächter war viel zu diskret, um das mitgenommene Äußere meines alten Autos auch nur mit einem Blick zu bemerken. Ich trat in die Hotelhalle und bewegte mich dann einen breiten Korridor entlang, der mit einer Reihe Polstersofas möbliert war, zwischen denen Gummibäume standen. Die Decke zierten rustikale Holzbalken, die Wände waren bis auf halbe Höhe gekachelt, und jegliches Geräusch wurde von einem dicken Läufer gedämpft, auf dem Blumen von der Größe eines Eßtellers prangten.
    Ash hatte einen Tisch im großen Speisesaal reserviert. Sie hatte bereits Platz genommen und wandte mir erwartungsvoll das Gesicht zu, als ich näherkam. Sie sah noch fast genauso aus wie in der High-School; hellrotes Haar, blaue Augen in einem breiten, freundlichen, von Sommersprossen übersäten Gesicht. Ihre Zähne waren strahlendweiß und gerade, und ihr Lächeln war mitreißend. Ich hatte ganz vergessen, wie lässig sie sich kleidete. Sie trug einen blauen Wollanzug im Militärstil und darüber eine dicke weiße Schafslederweste. Voll Bedauern dachte ich an meine Jeans und den Rollkragenpullover.
    Sie hatte immer noch ungefähr zwanzig Pfund Übergewicht und bewegte sich mit dem Enthusiasmus eines ungelenken jungen Hundes. Als ich am Tisch anlangte» sprang sie auf und umarmte mich. Sie hatte immer etwas Unschuldiges an sich gehabt. Obwohl sie aus einer Geld-Familie stammte, war sie nie geziert oder snobistisch gewesen. Wo Olive reserviert und Ebony einschüchternd gewirkt hatten, schien sich Ash ihrer selbst nie recht bewußt zu sein, war eines von diesen Mädchen, die einfach jeder mochte. In unserem zweiten Jahr auf dem College hatten wir nebeneinander gesessen und oft freundschaftlich miteinander geredet, ehe der Unterricht begann. Keine von uns war Cheerleader, strebte nach einer Auszeichnung oder kandidierte als Abschlußballkönigin. Die Freundschaft zwischen uns war zwar ehrlich, aber kurzlebig. Ich lernte ihre Familie kennen. Sie meine Tante. Ich besuchte sie in ihrem Haus und vermied es

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