Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
aufgegessen hätten.
Während wir speisten, erzählte ich ihr von meiner Verbindung zu Wood/Warren und den Unregelmäßigkeiten, die herausgekommen waren.
»Ach, Kinsey. Ich fühle mich schrecklich. Ich hoffe, Lance ist nicht für den Ärger verantwortlich, den du da am Hals hast.«
»Glaube mir, ich mich auch. Was ist er für ein Mensch? Könnte er das Lagerhaus der Familie niederbrennen?«
Ash stürzte sich nicht auf seine Verteidigung, wie ich es erwartet hatte. »Wenn er das getan hat, dann glaube ich nicht, daß er sich selbst verpetzen würde«, meinte sie.
»Klingt vernünftig. Wer könnte ihm eins auswischen wollen auf diese Art?«
»Keine Ahnung. Die ganze Situation wurde sehr schwierig, nachdem Daddy gestorben ist. Er war verrückt nach den Jungs, aber Bass war ein Dilettant, und Lance hat die meiste Zeit einen Mordswirbel gemacht.«
»Ich glaube, daran erinnere ich mich noch. Dein Vater muß ja hysterische Anfälle gekriegt haben.«
»Und ob er das hat. Du weißt ja, wie er war. Daddy hatte wirklich feste Prinzipien in bezug auf Elternschaft, aber die meisten waren falsch. Und außerdem hätte er ohnehin nicht gewußt, wie er sie durchführen sollte. Er wollte kontrollieren und formen und herrschen, aber nicht einmal das ist ihm sehr gut gelungen. Kinder benehmen sich nun mal nicht wie Firmenangestellte. Daddy dachte, er würde daheim mehr Kontrolle haben, aber Tatsache war, er hatte weniger. Sowohl Lance als auch Bass waren entschlossen, sich ihm in den Weg zu stellen. Bass hat nie ein anständiges Leben geführt.«
»Ist er noch immer in New York?«
»Na ja, er kommt hin und wieder — zu Thanksgiving war er eine Woche lang hier — , aber meistens ist er fort. New York, Boston, London. Er hat ein Jahr in Italien verbracht und schwört, er fährt wieder zurück. So gern ich ihn hab’, er ist reinste Zeitverschwendung. Ich glaube nicht, daß der es jemals zu was bringt. Allerdings war Lance jahrelang genauso. Eigentlich sind sie beide schlau genug, aber nicht ganz einfach. Lance ist ein paarmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Daddy ist deshalb die Wände hochgegangen.«
Die Muscheln kamen. Vor jede von uns wurde ein Teller gestellt, auf dem sich kleine, perfekte Muscheln türmten. Alles war in ein Tuch geschlagen, damit es heiß blieb. Ash spießte ein zartes Stück Muschelfleisch auf und legte es sich auf die Zunge. Sie schloß die Augen, als müßte sie ohnmächtig werden, und schluckte. Ich sah ihr zu, wie sie ein Stück Baguette mit Butter bestrich und in die Schüssel stippte, um die Sauce auszutunken. Als sie hineinbiß, gab sie einen leisen Ton tief aus der Kehle von sich.
»Ist dein Essen in Ordnung?« erkundigte ich mich trocken.
»O ja, fein«, sagte sie. »Gut.« Zu spät wurde ihr klar, daß ich sie neckte, und sie lächelte. Ihre Wangen färbten sich rosig, was ihr gut stand. »Mich hat mal jemand gefragt, was mir lieber wäre — Sex oder ein warmer Chocolate-Chip-Keks. Ich kann mich heute noch nicht entscheiden.«
»Nimm die Kekse. Die kannst du selbst backen.«
Sie wischte sich den Mund ab und trank einen kleinen Schluck Wein. »Nun ja, in den letzten sechs, sieben Jahren hat Lance jedenfalls alles mehr oder weniger in den Griff bekommen und fing auch an, Interesse am Geschäft zu zeigen. Daddy war begeistert. Wood/Warren war Daddys Leben. Er hat uns geliebt, aber er konnte uns nicht so lenken wie das Geschäft. Als schließlich Bass auftauchte, der Letzte in der Reihe, hatte Daddy die Hoffnung für einen Nachfolger praktisch schon aufgegeben.«
»Was ist mit Ebony?«
»Oh, schon als Kind hat sie die Firma leidenschaftlich geliebt, aber sie hat nicht geglaubt, daß Daddy ihr jemals die Leitung überlassen würde. Er war altmodisch. Ein Mann hinterläßt seine Firma dem ältesten Sohn. Basta. Er wußte, daß Ebony schlau ist, aber er glaubte, daß sie nicht hart genug wäre, und er glaubte nicht, daß sie durchhalten würde. Frauen heiraten und kriegen Kinder und geben Geld aus. Das war seine Einstellung. Frauen gehören dem Country Club an, spielen Tennis und Golf. Sie können nicht mit Chemikern und Systemanalytikern. Sie hat sogar das Polytechnikum besucht und angefangen, ihren Ingenieur zu bauen, aber Daddy hat ihr klargemacht, daß ihr das auch nicht weiterhelfen würde. Also ist sie statt dessen nach Europa gefahren und hat geheiratet.«
»Und auf diese Weise seine Prophezeiung erfüllt«, meinte ich.
»Richtig. Und da hat Daddy natürlich eine
Weitere Kostenlose Bücher