Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
kaufte eine Zeitung und hockte mich in die hintere Nische, wo sie für gewöhnlich sitzt. Claudine kam, und ich bestellte Frühstück. Um zwölf Minuten nach acht kam Darcy in einem leichten Wollmantel durch die Tür. Sie blieb stehen, als sie mich sah, und schlüpfte dann in eine leere Nische weiter vorn. Ich nahm meine Kaffeetasse und ging zu ihr. Der saure Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie meine Absicht erkannte, gefiel mir.
»Hast du was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?« fragte ich.
»Also, ehrlich gesagt hätte ich die Zeit lieber für mich«, antwortete sie und wich meinem Blick aus.
Claudine tauchte auf, mit einem dampfenden Teller mit Rührei und Speck, den sie vor mich stellte. Claudine ist Mitte Fünfzig, hat eine dröhnende Stimme und dicke Krampfadern an den Waden.
»Morgen, Darcy. Was nimmste denn heute? Wir haben kein Käsecroissant mehr, aber ich hab’ eins mit Kirschen zurückgelegt, wenn du das haben willst.«
»Prima. Und einen kleinen Orangensaft.«
Claudine machte sich eine Notiz und schob ihren Block in die Schürzentasche. »Eine Sekunde, dann bring ich dir ’ne Tasse Kaffee.« Sie war schon wieder fort, ehe Darcy protestieren konnte. Ich konnte sehen, wie sie sich hastig nach einem freien Platz umsah. Das Café füllte sich schnell, und es sah aus, als säße sie in der Falle.
Während ich aß, musterte ich sie auf eine, wie ich hoffte, beunruhigende Weise. Sie zog den Mantel aus, stand extra auf, um ihn richtig zusammenlegen zu können. Sie ist eine von diesen Frauen, die eine Glamour-Zeitschrift als Herausforderung für ihre Spalte »Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ« empfinden würde. Sie hat feines Haar — wie ein Baby, das jedem Versuch trotzt, es zu frisieren, dazu eine hohe, gewölbte Stirn, blaßblaue Augen. Ihre Haut ist milchweiß, mit einem Hauch von Adern, die durchschimmern wie ausgeblichene Wäschezeichen. Es ging das Gerücht, daß Darcys Freund Postbote wäre, der nebenbei auch mit Drogen handelte, und ich überlegte, ob er den Stoff wohl gleichzeitig mit der Post lieferte. Ich begriff, daß ich ihr den Tag verdorben hatte, und das förderte meinen Appetit.
»Ich schätze, du hast von der Klemme gehört, in der ich stecke.«
»Wäre schwer, nicht davon zu hören.«
Ich öffnete einen Portionsbecher mit Grapefruitgelee und strich die Hälfte davon auf ein Stück Vollkorntoast. »Hast du ’ne Ahnung, wer mich reinlegen will?«
Claudine kam mit einer Tasse und der Kaffeekanne. Darcy zog es vor, sich eines Kommentars zu enthalten, bis ihre Tasse vollgeschenkt und meine neu gefüllt worden war. Nachdem Claudine gegangen war, veränderte sich Darcys Ausdruck, wurde geziert, und ihre Farbe wechselte von jämmerlich zu düster. Das war gar nicht mal so schlecht. Sie ist ganz groß mit Pastellfarben, denkt wohl, daß ausgewaschene Farben ihr mehr schmeicheln als kühne Töne. Sie trug also einen blaßgelben Pullover, von einer Farbe, wie ich sie bei manchen Urinproben gesehen hatte, bei denen die Prognose nicht ganz klar war. Das Rosa ihrer Wangen gab ihr einen Hauch von Gesundheit zurück.
Sie beugte sich vor. »Ich hab’ dir nichts getan«, sagte sie.
»Prima. Dann kannst du vielleicht helfen.«
»Mac hat uns ausdrücklich aufgefordert, nicht mit dir zu reden.«
»Wieso?«
»Nun ja, offensichtlich will er nicht, daß du Informationen erhältst, die du nicht haben sollst.«
»Wie zum Beispiel?«
»Das werde ich nicht mit dir diskutieren.«
»Warum erzähle ich dir nicht einfach meine Theorie«, meinte ich freundlich. Ich erwartete fast, daß sie die Finger in die Ohren stecken und laut singen würde, um mich nicht zu hören, aber ich mußte feststellen, daß sie nicht ganz uninteressiert war, und das machte mir Mut. »Ich vermute, daß Andy vielleicht dahintersteckt. Ich weiß nicht, was ihm das bringt, aber wahrscheinlich bedeutet es einen finanziellen Gewinn für ihn. Irgend jemand schanzt ihm vielleicht Geschäfte zu, oder er bekommt eine Provision. Mir ist natürlich durch den Kopf geschossen, das könntest du sein, aber im Augenblick glaube ich das eigentlich nicht wirklich. Ich glaube, wenn du das gewesen wärest, dann wärst du jetzt freundlich, schon allein um mich von deinem guten Willen zu überzeugen.«
Darcy öffnete ein Tütchen Zucker, maß einen halben Teelöffel voll ab und rührte ihn in ihren Kaffee. Ich fuhr fort, sprach laut, als wäre sie eine Freundin von mir, die mir helfen wollte.
»CF beauftragt auch noch andere freie Detektive.
Weitere Kostenlose Bücher