Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
Sommersprossen, Falten und Verfärbungen verschwinden ließ. Sie holte Eyeliner hervor und färbte Ober- und Unterlider. Schließlich bürstete sie ihre Wimpern mit Maskara. Ihre Augen schienen hervorzutreten. Sie stäubte Puder auf die Wangen, zog die Konturen ihres Mundes mit dunklem Rot nach und füllte die Lippen in einem helleren Ton aus. Weniger als zwei Minuten waren vergangen, aber als sie mich wieder ansah, waren die scharfen Züge verschwunden, und sie hatte den Glanz einer Zeitschriftenanzeige. »Was sagen Sie dazu?«
»Ich bin beeindruckt.«
»Ach, Süße, ich hätte Sie in einer Minute todschick. Sie sollten ein bißchen was aus sich machen. Ihr Haar sieht aus wie das Hinterteil eines Hundes.«
Ich lachte. »Wir sollten lieber übers Geschäft reden, wenn ich nur dreißig Minuten Zeit bekomme.«
Sie winkte ab. »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Ich hab’ meine Meinung geändert. Betsy hat Probleme mit ’ner Überdosis, und ich hab’ noch keine Lust heimzugehen.«
»Ihre Zimmergenossin hat eine Überdosis genommen?«
»Das macht sie immer, aber sie kriegt es nie richtig hin. Ich glaube, sie hat ein kleines Buch von der Hemlock-Gesellschaft, nimmt aber immer nur die Hälfte von dem, was sie braucht, um ganze Arbeit zu leisten. Dann komm’ ich heim und muß damit fertig werden. Ich hasse es, ehrlich, wenn Möchtegernmediziner mitten in der Nacht durch meine Wohnung trampeln. Die sind alle sechsundzwanzig Jahre alt und so sauber und anständig, daß einem ganz schlecht wird. Oft geht sie später mit einem von denen aus. Sie schwört, es wäre die einzige Möglichkeit, bessere Männer kennenzulernen.«
Ich sah ihr zu, wie sie ihre Bloody Mary halb austrank. »Erzählen Sie mir von Hugh«, bat ich.
Sie holte ein Päckchen Kaugummi hervor und bot mir eines an. Als ich den Kopf schüttelte, wickelte sie ihres aus und schob es in den Mund. Dann zündete sie sich eine Zigarette an. Ich versuchte, mir die Kombination vorzustellen... Pfefferminz und Rauch. Es war eine unangenehme Vorstellung. Sie knüllte das Papier zusammen und ließ es in den Aschenbecher fallen.
»Ich war noch ein Kind, als wir uns kennenlernten. Neunzehn. Arbeitete an der Bar. An meinem achtzehnten Geburtstag fuhr ich mit dem Greyhound-Bus nach Kalifornien und ging zur Barkeeper-Schule in Los Angeles. Hat mich sechshundert Dollar gekostet. Hätte auch in die Hose gehen können. Ich hab’ zwar tatsächlich gelernt, wie man Drinks mixt, aber das hätte ich wahrscheinlich auch aus einem der kleinen Bücher lernen können. Auf jeden Fall hab’ ich diesen Job am Flughafen von L. A. gekriegt, und seitdem habe ich immer in Flughafenbars gearbeitet. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich bin einfach irgendwie hängengeblieben. Eines Abends kam Hugh rein, und wir haben uns unterhalten. Dann weiß ich nur noch, daß wir uns ineinander verliebten und heirateten. Er war damals neununddreißig, ich neunzehn, und ich war sechzehn Jahre lang mit ihm zusammen. Ich kannte diesen Mann. Der hat sich nicht selbst umgebracht. Schon meinetwegen hätte er’s nicht getan.«
»Wieso sind Sie da so sicher?«
»Wieso sind Sie sicher, daß die Sonne jeden Tag im Osten aufgeht? Sie tut es eben, das ist alles, und Sie lernen es, sich darauf zu verlassen, so wie ich mich auf ihn verlassen hab’.«
»Sie glauben also, jemand hat ihn umgebracht?«
»Klar tu’ ich das. Lance Wood war das, das ist so sicher, wie ich hier sitze. Aber das wird der auch in einer Million Jahren nicht zugeben und seine Familie genausowenig. Haben Sie schon mit denen geredet?«
»Mit einigen. Ich habe gestern zum erstenmal von Hughs Tod gehört.«
»Ich hab’ mir immer gedacht, die haben die Bullen bestochen, damit es unter den Tisch fällt. Die haben Geld wie Heu und kennen jeden in der Stadt. Das war abgekartetes Spiel.«
»Lyda, Sie sprechen von geachteten Leuten. Die haben Mord niemals toleriert und würden Lance nicht beschützen, wenn sie glauben würden, er hätte irgendwas damit zu tun.«
»Mensch, Sie sind ja noch doofer als ich, wenn Sie das glauben. Ich sag’ Ihnen doch, das war Mord. Warum sind Sie den ganzen Weg hierhergeflogen, wenn Sie das nicht selbst glauben?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Deshalb frage ich Sie.«
»Dann sag’ ich Ihnen, es war kein Selbstmord. Er war nicht depressiv. Er war kein Selbstmordtyp. Warum sollte er so was tun? Das ist doch blöd. Die kannten ihn. Die wußten genau, was er für ’n Mann war.«
Ich beobachtete sie
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