Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
mich nicht anschwindelte. An dem Tag, an dem er aufgehört hat zu trinken, hat er geschworen, nie wieder anzufangen.«
»Wie viele Leute wußten von dem Antabuse?«
»Ich weiß nicht. Er hat nie viel Aufhebens davon gemacht. Wenn die Leute um ihn her was getrunken haben, hat er bloß gesagt: >Nein, danke.<«
»Erzählen Sie mir, was in der Woche passiert ist, in der er gestorben ist.«
»Nichts. Mir kam sie vor wie eine ganz gewöhnliche Woche. Er hat mit Woody gesprochen. Zwei Tage später war er tot. Nach der Bestattung packte ich meine Sachen und trat den Heimweg an. Und seit der Zeit bin ich hier.«
»Und bei seinen Sachen war nichts, was darauf hingewiesen hätte, was vor sich ging? Kein Brief? Keine Notiz?«
Sie schüttelte den Kopf. »An seinem Todestag hab’ ich selbst seinen Schreibtisch durchgesehen und nichts gefunden.«
12
Der Rückflug verlief ereignislos. Ich hatte anderthalb Stunden mit Lyda verbracht, den Rest der Nacht dann im Flughafen mit dem roten Teppich, der hohen Glasdecke, den echten Bäumen und einem richtigen Vogel, der hin und her flog und unaufhörlich zwitscherte. Es war fast wie beim Camping, nur saß ich aufrecht und hatte keine Würstchen zum Rösten. Ich machte mir Notizen über mein Gespräch mit Lyda, die ich daheim für die Akten übertragen wollte. Ich neigte zu der Ansicht, Hugh Case sei ermordet worden, wenngleich ich nicht wußte wie, warum oder von wem. Ich neigte ebenfalls dazu zu glauben, sein Tod hätte mit den derzeitigen Vorkommnissen bei Wood/Warren zu tun, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wo die Verbindung liegen könnte. Lyda hatte versprochen, sich mit mir in Verbindung zu setzen, wenn ihr irgend etwas Wichtiges einfallen sollte. Alles in allem war es kein unproduktiver Ausflug gewesen. Er hatte zwar mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, aber das war mir recht. Solange es Fäden zu entwirren gibt, bin ich im Geschäft. Der Frust setzt erst ein, wenn alle Spuren austrocknen und die Straßen sich als Sackgassen erweisen. Mit Hugh Case hatte ich das Gefühl, gerade eines der Eckstücke in diesem Puzzle entdeckt zu haben. Ich hatte keine Ahnung, wie das fertige Bild aussehen würde, aber wenigstens hatte ich einen Anfang.
Ich bestieg das Flugzeug um 4.30 Uhr morgens, kam um 5.45 Uhr in Los Angeles an. Dort mußte ich bis 7 Uhr auf eine Maschine nach Santa Teresa warten, und als ich mich schließlich heimschleppte, war ich zu Tode erschöpft. Ich schloß meine Wohnungstür auf, warf einen Blick auf den Anrufbeantworter (keine Nachrichten), zog die Stiefel aus und rollte mich, vollkommen bekleidet, auf dem Bett zusammen.
Ungefähr um 9.02 Uhr klopfte es an meine Tür. Ich wachte auf und schlurfte zur Tür, schleifte dabei meine Bettdecke wie eine Brautschleppe hinter mir her. Ich hatte einen schlechten Geschmack im Mund, und mein Haar stand senkrecht vom Kopf hoch wie bei einem Punker, nur nicht so sauber. Ich spähte durch den Spion, zu schlau, um mich schon am frühen Morgen von einem Halsabschneider überraschen zu lassen. Auf der Schwelle stand mein zweiter Exmann. Daniel Wade.
»Scheiße«, murmelte ich. Ich lehnte kurz den Kopf an die Tür und sah dann noch mal hinaus. Alles, was ich leicht verzerrt erblicken konnte, war sein Gesicht im Profil, biondes Haar, das sich wie ein Heiligenschein um seinen Kopf lockte. Daniel Wade ist wahrscheinlich der schönste Mann, den ich jemals gesehen habe — ein schlechtes Zeichen. Schöne Männer sind für gewöhnlich entweder schwul oder unglaublich narzißtisch. (Tut mir leid, diese Verallgemeinerung, Leute, aber das ist die Wahrheit.) Ich mag ein gutes Gesicht oder ein interessantes Gesicht oder ein Gesicht mit Charakter, aber nicht diese gemeißelte Vollkommenheit... die gerade, gutproportionierte Nase, die hohen Wangenknochen, die kräftigen Kiefer, das feste Kinn. Sein Haar war sonnengebleicht, die Augen von einem bemerkenswerten Blau, das von den dunklen Wimpern noch betont wurde. Seine Zähne waren gerade und sehr weiß, sein Lächeln ein wenig schief. Könnt ihr ihn euch vorstellen, Leute?
Ich öffnete die Tür. »Ja?«
»Hi.«
»Hallo.« Ich musterte ihn unhöflich, hoffte, er würde verschwinden. Er ist groß und schlank und kann alles essen, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen. Da stand er nun in ausgeblichenen Jeans und einem dunkelroten Sweatshirt, dessen Ärmel er hochgeschoben hatte. Seine Haut hatte einen goldenen Schimmer, sonnengebräunt, und seine Wangen glühten dunkel. Noch so ein
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