Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
annähernd genug gelitten. Und jetzt ist sie mir entkommen.«
»Sie hat dich geliebt«, sagte ich.
»Na und?«
»Nichts und. Ich schätze, Liebe zählt in deinen Augen nicht viel.« Mein Blick wanderte zur Uhr. 16 Uhr 25.
»Nicht, wenn sie auf Lüge und Verrat basiert«, erklärte er fromm. »Sie hätte mir die Wahrheit sagen sollen. Sie hat mir die Tatsachen immer verschwiegen. Sie ließ mich immer in dem Glauben, unser tristes Sexualleben wäre allein meine Schuld. Sie ließ mich denken, ich wäre der Versager, dabei war es die ganze Zeit über sie. Manchmal denke ich an ihn, an seinen Mund, der über ihren ganzen Körper wandert, der überall an ihr saugt. Abscheulich.«
»Das ist schon lange her.«
»Nicht lange genug.«
»Was ist mit Andy Motycka? Wie hast du ihn dazu überredet, dir zu helfen?«
»Geld und Drohungen. Zuckerbrot und Peitsche. Janice hat ihm jeden Pfennig aus der Tasche gezogen. Ich habe ihm zehn Riesen gezahlt. Immer, wenn er nervös wurde, habe ich gesagt, daß ich Janice von Lorraine erzählen würde, wenn er versuchen sollte auszusteigen.«
»Wie hast du das mit ihr herausgefunden?«
»Wir kannten uns alle seit Jahren; waren zusammen auf der Uni, ehe er und Janice geheiratet haben. Das war natürlich, nachdem ich meine neue Identität angenommen hatte. Als ich erst einmal den Plan gefaßt hatte, gehörte nicht mehr viel dazu zu erkennen, daß er in der Lage war, mir zu helfen.«
»Hast du ihn auch umgebracht?«
»Ich wünschte, ich hätte es. Er ist mir entwischt, aber ich hol’ ihn mir schon zurück. Er ist nicht sehr schlau.«
Ich hätte schwören können, ich hörte die Zeitbombe fröhlich ticken. Ich feuchtete meine Lippen an. »Ist da drin wirklich eine Uhr? Funktioniert die Bombe damit?«
Er warf einen Blick zum Küchentresen hinüber. »Das ist kein kompliziertes Gerät. Das für Olive war ausgeklügelter, aber ich mußte ja auch sichergehen, daß es durch einen Stoß ausgelöst wurde.«
»Ein Wunder, daß ich nicht getötet wurde.«
»Das hätte die Dinge vereinfacht«, gab er zu.
Jetzt fiel mir wieder ein, wie er sich gebückt hatte, um den Schlauch aufzurollen, der auf dem Gartenweg lag. Nur ein Vorwand, um zurückzubleiben, außerhalb des Wirkungsbereichs. Ich fühlte mich langsam merkwürdig frei. Die Zeit, die mir noch blieb, war kurz, aber sie fing an sich zu dehnen wie ein Stück Kaugummi. Die Vorstellung, daß ich die letzten Minuten meines Lebens damit verbrachte, über Trivialitäten mit dem Mann zu diskutieren, der mich umbringen wollte, schien absurd. Aber zum Teufel, warum nicht? Wieder mußte ich an meinen kurzen Flug von Olives Veranda denken, während sie wie ein Vogel an mir vorbeischwirrte. Einen Tod wie diesen spürt man kaum. Wovor ich wirklich Angst hatte, war davonzukommen, verstümmelt, verbrannt — lange genug, um zu spüren, wie es zu Ende ging. Es wird Zeit, etwas zu unternehmen, sagte ich mir, ungeachtet der Konsequenzen. Was hat man schon zu verlieren, wenn sein Leben auf dem Spiel steht?
Ich griff nach meiner Handtasche. »Ich hab ’n paar Beruhigungspillen da drin. Du hast doch nichts dagegen?«
Er schien überrascht, wackelte mit der Waffe herum. »Laß die, wo sie sind.«
»Ich bin ein Wrack, Terry. Ich brauche wirklich eine Valium. Danach kannst du mich fesseln.«
»Nein«, beharrte er. »Rühr die nicht an. Ich meine es ernst!«
»Komm schon. Tu mir den Gefallen. Es ist nur eine so kleine Bitte.«
Ich zog die Tasche heran und öffnete den Reißverschluß, durchwühlte den Inhalt, bis ich den Elfenbeingriff meiner geliebten .32er gefunden und die Waffe entsichert hatte. Er konnte es nicht fassen, daß ich ungehorsam gewesen war, schien aber nicht zu wissen, was er tun sollte.
Als er aufstand, feuerte ich durch den Boden meiner Handtasche aus einem Abstand von nur zehn Schritt auf ihn, aber ohne sichtbare Wirkung. Er machte einen Satz, als hätte ich ihm heiße Soße auf die Hose gegossen, aber ich konnte kein Blut sehen, und er brach auch nicht auf dem Boden zusammen, wie ich allen Ernstes gebetet hatte. Statt dessen erwachte er brüllend zu neuem Leben und ging wie ein tollwütiger Hund auf mich los. Ich zog die Pistole aus der Tasche, schoß noch einmal, aber da hatte er mich schon erwischt, riß mich mit sich zu Boden. Ich sah seine Faust auf mich herabsausen und zuckte nach rechts. Der Schlag landete auf meinem linken Ohr, das vor Schmerz dröhnte. Ich zog mich an der Couch hoch, kam auf die Füße. Ich hatte keine
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