Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
aus dem Gässchen hinter dem Gebäude, wo die beiden offenbar einen Wagen deponiert hatten. Ich erreichte die Kreuzung wenige Sekunden nach Jimmy. Ein Ford Sedan schoss aus der Mündung des Gässchens drei Häuser weiter. Ich sah Jimmy wie in Zeitlupe in Stellung gehen und schießen. Das Rückfenster zersprang. Er schoss noch einmal. Der rechte Hinterreifen platzte. Der Ford brach aus und schleuderte gegen einen am Straßenrand geparkten Lieferwagen. Ich hörte das dumpfe Krachen kollidierender Metallmassen. Die vordere Stoßstange des Ford fiel scheppernd auf den Asphalt, und ein Regen von Glasstückchen ging mit zartem Klimpern nieder. Die wenigen Fußgänger im nächsten Umkreis suchten Deckung, und ich hörte den lang gezogenen Schrei einer Frau. Die Vordertüren des Ford flogen fast gleichzeitig auf. Die blonde Frau stieg auf der Beifahrerseite aus, der bullige Typ auf der Fahrerseite, wo er sich umdrehte, hinter der offenen Tür in Deckung ging und zielte. Ich warf mich hin und drückte mich im Schutz einer Reihe von Mülltonnen flach auf den Boden. Der Schusswechsel klang wie das Ploppen von Popcorn in einer geschlossenen Pfanne. Ich zog den Kopf ein, Dreck zwischen den Zähnen, in der Nase eine Mischung aus Müllgestank und dem Geruch von nassem Asphalt. Ich hörte drei weitere Schüsse fallen, von denen einer nicht weit von meinem Kopf Teerstückchen aufspritzen ließ. Ich hatte Angst um Jimmy, aber seltsamerweise auch um Bibianna. Ich hörte jemanden rennen. Irgendwer lebte jedenfalls noch — ich wusste nur nicht, wer. Ich hörte die Schritte leiser werden, dann war Ruhe. Ich stützte mich auf alle viere hoch und kroch hinter ein parkendes Auto. Ich spähte über die Kühlerhaube. Jimmy stand drüben auf der anderen Straßenseite. Dann ließ er sich jäh auf den Bordstein sacken, den Kopf auf den Knien. Von der Blonden war nichts zu sehen. Bibianna klammerte sich, offenbar unverletzt, an den hinteren Kotflügel des Ford und schluchzte hysterisch. Ich richtete mich auf, verblüfft über die plötzliche Stille. Ich ging vorsichtig auf Bibianna zu, weil ich mich fragte, wo wohl der Typ mit dem karierten Sportsakko abgeblieben war.
Ich hörte ein Keuchen, ein gequältes Ächzen, das sowohl nach Schmerz als auch nach äußerster Anstrengung klang. Dann sah ich ihn, auf der anderen Seite des Ford. Er schleppte sich am Boden den Gehweg entlang. Zwischen seinen Schulterblättern war ein feuchter Fleck von hellrotem Blut. Über die linke Seite seines Gesichts strömte Blut aus einer Kopfwunde. Er schien ganz auf sein Unterfangen konzentriert, wild entschlossen, es zu schaffen. Er bewegte sich mit der prekären Koordination eines Krabbelkindes, dessen Gliedmaßen immer wieder gegeneinander arbeiten. Vor Frustration über sein langsames Fortkommen begann er zu weinen. Er war wohl immer jemand gewesen, der sich auf seine körperlichen Kräfte verlassen hatte, der schon allein aufgrund seiner Größe eine gewisse unangefochtene Stellung genoss. Jetzt war seine Körpermasse für ihn ein Hemmschuh, eine Last, die er nicht bewegen konnte. Er legte den Kopf auf den Boden, um sich einen Moment auszuruhen, ehe er sich wieder an sein Zentimeterwerk machte. Eine kleine Menschenmenge hatte sich zusammengeschart, wie Zuschauer am Ziel einer Marathonstrecke. Niemand feuerte ihn an. Die Gesichter waren respektvoll, unsicher, ratlos. Eine Frau trat auf den verletzten Mann zu, hockte sich neben ihn und streckte vorsichtig die Hand aus. Als sie ihn berührte, brach ein dumpfes Geheul aus ihm heraus, kehlig und voller Pein. Es gibt keinen schrecklicheren Laut als die Klage eines Menschen über seinen eigenen Tod. Die Frau hob die Augen und sah die Umstehenden benommen an.
»Hilfe«, rief sie heiser. Sie schaffte es nicht, ihrer Stimme Volumen zu geben. »Helft ihm doch. Kann denn keiner helfen?«
Niemand rührte sich.
Jetzt waren schon die Sirenen zu hören. Jimmy Tate hob den Kopf.
8
Ich ging zu dem Ford hinüber. Die linke hintere Tür stand offen, und Bibianna saß seitwärts auf dem Rücksitz, vornübergebeugt, die Ellbogen auf den Knien. Sie zitterte so heftig, dass sie die Füße nicht auf dem Boden halten konnte. Ihre Pfennigabsätze vollführten einen kleinen Stepptanz auf dem Asphalt, während sie die Hände zwischen den Oberschenkeln festklemmte. Ich dachte zuerst, dass sie vor sich hin summte, aber es war Stöhnen, das sie zu unterdrücken versuchte, indem sie die Zähne fest zusammenbiss. Ihr Gesicht war
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