Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
kippte hintenüber und krachte gegen einen der Tische. Stimmen kreischten, ein Stuhl ging zu Bruch, Gläser zerbarsten zu einem Regen aus Scherben und Tequila. Jimmy und Bibianna schienen überhaupt nichts mitzubekommen. Sie waren in eine Art Sitz-Version von Dirty-Dancing versunken und imitierten all diese fürchterlichen Filmszenen, in denen die Liebenden ihre Zungen spielen lassen und sich gegenseitig die Lippen beknabbern. Mit einem Liebespaar zusammen sein kann eine harte Prüfung sein, wenn man selbst allein ist. Die Luft knisterte, und zwischen ihren Körpern sprang ein unsichtbarer Funkenbogen hin und her. Sobald sie sich in die Augen sahen, merkte ich förmlich, wie ihre Dessous feucht wurden.
Ich sah auf meine Armbanduhr: Viertel nach elf. Genug. Ich schob geräuschvoll meinen Stuhl zurück. »So, das war’s für mich«, sagte ich. »Zeit zum Schlafengehen. Gute Nacht. War ein toller Abend.« Es dauerte eine Weile, bis ich zu ihnen durchdrang. Jimmy schaffte es schließlich, aus einem Bungee-Kuss aufzutauchen. Er sah mich, noch immer schwer atmend, aus schwerlidrig-erstaunten Augen an.
»Lasst euch nicht stören«, sagte ich.
Die Lust hatte seine Reaktionen verlangsamt, und ich sah, wie er sich mühte, seine Stimme wieder zu finden. »Geh noch nicht«, krächzte er. »Bleib noch. Wir müssen noch reden.«
»Worüber?«
Bibianna musste sich zwar Vorbeugen, um sich verständlich machen zu können, schien aber vergleichsweise klar. »Zu viel Krach hier. Wir gehen noch schnell nach nebenan, einen Happen essen. Kommen Sie doch mit.«
Ich schwankte. Ich hatte einen Großteil des Tages darauf verwandt, diesen Kontakt herzustellen, und es war sicher klug, die Beziehung noch ein wenig zu festigen. Natürlich bestand die Gefahr, dass Jimmy meine wahre Identität aufdeckte, aber ich verließ mich eigentlich darauf, dass er den Mund halten würde. Im Moment schien er sowieso nur das eine im Kopf zu haben. Sie genossen die Vorlust, indem sie das Unausweichliche noch ein bisschen hinausschoben, während ich hier dumm rumsaß. Ach, verdammt, dachte ich, ich lande sowieso allein in meinem Bett, warum dann so eilig? Ich zog meine Lederjacke zu und wartete, bis sie ihre verschiedenen Körperteile entwirrt hatten. Als wir uns durch das Gedränge zum Ausgang zwängten, bekam ich zwei Anträge, die ich aber nicht weiter ernst nahm. Beide Interessenten adressierten mich mit »He, du... du da...« und unterstrichen ihr Anerbieten mit viel Mimik und Gestik. Der eine Knabe sah aus wie sechzehn. Der andere hatte einen großen, vorstehenden Goldzahn.
Wir traten hinaus in einen leichten Regen. Jimmy nahm Bibianna bei der Hand, und sie rannten los. Ich trabte hinterher und holte sie vor dem Eingang des kleinen Restaurants drei Häuser weiter ein. Nach der Total-Beschallung in dem Tanzschuppen war das Café zunächst still wie ein Psycho-Tank. Das Bourbon Street war klein, nur ein langer, schmaler Raum, der wie eine New-Orleans-Theaterkulisse aussah. Die Wände waren aus Mauersteinen, mit lauter falschen Fenstern und Türen, die von hinten beleuchtet waren, damit es aussah, als verberge sich dahinter ein gemütliches Interieur. In Höhe der zweiten Etage sprang eine Galerie von Baikonen hervor, stilecht mit schmiedeeisernen Gittern. Die Pseudo-French-Quarter-Atmosphäre komplettierten Wandlaternen mit schwachen Kerzenbirnen, die wie windgeplagte Flammen flackerten. Künstlicher grüner Efeu rankte sich die Wand empor und sah sehr echt aus. Ich hätte schwören können, dass ich die Brise roch, die in den Blättern zu rascheln schien.
Die Küche war in einem kleinen Nebenraum versteckt. Ein Duft nach Shrimps étouffées und gegrilltem Rotfisch hing in der Luft, so, als wehten einem die Gerüche eines Familien-Sonntagsessens in die Nase. Es gab insgesamt siebzehn Tische, die meisten frei und alle mit weißen Papierdecken. Hurrikan-Lampen spendeten ein Licht, das den Gästen schmeichelte und doch zum Essen ausreichte.
Jimmy bestellte Cajun Popcorn — frittierte Langustenstückchen mit einer würzigen Sauce — und anschließend eine Schüssel Jambalaya für uns alle. Bibianna wollte Austern als Vorspeise. Ich sah zu, wie sie über das Menü verhandelten, und fühlte mich merkwürdig passiv. Sie debattierten über die Frage Wein oder Bier und orderten schließlich beides. Sie wurden immer neckischer, während ich merkte, wie ich mich immer unbeteiligter fühlte. Ich knabberte an einem Maisbrötchen und versuchte, herauszufinden,
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