Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
wie spät es jetzt wohl für Dietz sein mochte. In Deutschland war es immer... wie war das noch... acht Stunden später? Ich gab mich ein paar unsittlichen Dietz-Fantasien hin, während ich Bibianna und Jimmy wie durch einen durchsichtigen Spiegel beobachtete. Es war offenkundig, dass da mehr lief als nur eine kurze Bumsgeschichte. Jimmy Tate war ein gut aussehender Bursche mit dem sonnigen Charme eines kalifornischen Surfers, und sein Gesicht, das sonst vielleicht zu hübsch gewesen wäre, um einen wirklich anzusprechen, bekam durch die Metallbrille etwas Interessantes. Hübsche Männer haben mich nie gereizt, aber er war eine Ausnahme, vielleicht aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte. Er hatte sich in den vierunddreißig Jahren seines Lebens viel zugemutet — Alkohol und Drogen, lange Nächte, Kneipenschlägereien — , und allmählich zeigten sich die ersten Spuren. Ich sah die feinen Linien um seine Augen und tiefere um seinen Mund. Bibiannas Jugend und ihre dunkle südländische Schönheit waren der perfekte Kontrapunkt zu seiner blonden, blauäugigen Attraktivität. Sie schienen wie füreinander gemacht, ein verkrachter Polizist und eine Schwindel-Künstlerin... beide bereit, den kürzesten Weg zu nehmen, auch wenn es nicht unbedingt der legale war, beide darauf aus, das System für ihre Zwecke zu manipulieren, beide auf der Jagd nach dem schnellen Geld. Sie waren keine schlechten Menschen, aber sie mussten wohl jeder die kriminelle Ader im anderen gewittert haben. Ich fragte mich, was sie zueinander hingezogen haben mochte, ob sie gegenseitig den Hang zur Rebellion und zur Missachtung von Spielregeln gespürt hatten. Diese Ähnlichkeit sprang zwar nicht sofort ins Auge, aber ich glaube, Liebende haben ein untrügliches Gespür für die Eigenschaften im anderen, die für sie anziehend und fatal zugleich sind.
Als das Essen kam, fielen sie mit der gleichen Gier darüber her wie vorhin übereinander, wobei sie nebenher zu zweit eine Flasche Rotwein niedermachten. Mir war nicht nach noch mehr Alkohol. Ich widmete mich meinem Essen mit jener genießerischen Hingabe, die nur als Sublimierung zu erklären ist. Nach dem vielen Bier war es ganz gut, wenn ich meinem Kopf vor der Heimfahrt noch Gelegenheit gab, ein bisschen klarer zu werden. Das Lokal begann sich jetzt mit hungrigen Nachtschwärmern zu füllen. Der Geräuschpegel stieg, konnte sich aber mit dem von eben nicht einmal ansatzweise messen. Ich bekam diffus mit, wie sich die Tür in meinem Rücken in kurzen Abständen öffnete, um das Mitternachtsvölkchen hereinzulassen — Leute auf der Suche nach einem heißen Kaffee, einem Stück Süßkartoffel-Pie. Das Bier machte sich bemerkbar. »Wo sind denn die Toiletten?« Bibianna zeigte auf den rückwärtigen Teil des Lokals. Sie und Tate hatten beide ganz schön einen sitzen, und ich fragte mich, ob ich sie wohl im Interesse der allgemeinen Sicherheit zu Bibianna nach Hause kutschieren sollte.
»Bin gleich wieder da«, sagte ich.
Ich wand mich zwischen den Tischen hindurch und erspähte das Schild, das den Weg zu den Toiletten und den Telefonen wies. Ich zwängte mich durch eine Tür aus Hurrikan-Fensterläden und fand mich in einem kleinen Gang mit der gleichen Flackerbeleuchtung. Am Ende des Gangs flankierten zwei Münztelefone einen Hinterausgang, über dem ein Schild mahnte: Diese Tür muss während der Öffnungszeiten unverschlossen bleiben. Zu meiner Rechten entdeckte ich die Türen mit Herren und Damen. Ich ging in Damen. Hier war die Beleuchtung besser. Die Ausstattung bestand aus einer Ablage mit zwei eingelassenen Waschbecken und einem breiten Wandspiegel darüber, einem Papierhandtuch-Spender über einem metallenen Abfalleimer und zwei Toilettenkabinen, von denen eine besetzt war. Ich ging in die andere. Eine nicht ganz bis zum Boden reichende Zwischenwand trennte mich von meiner Nachbarin, deren ausgiebige Verrichtung sich anhörte, als ob jemand eine Literflasche Limonade aus großer Höhe auskippte. Ich betrachtete abwesend ihre Schuhe: gemusterte Strümpfe, Sling-Pumps mit hohen Absätzen. Blinzelnd beugte ich mich näher heran. Diese Schuhe oder ein Paar ganz ähnliche hatte ich heute an der blonden Frau bei der CF gesehen. Nebenan ging die Spülung. Ich arrangierte hastig meine Klamotten, während sie sich die Hände wusch und ein Papierhandtuch aus dem Spender zog. Es raschelte, als sie sich die Hände abtrocknete. Ich betätigte ausgiebig die Spülung, um Zeit zu schinden. Ich traute mich
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