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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Boden zwischen Bett und Schrank, als plötzlich der Hund zu bellen begann. Luis. Scheiße! Ich zerrte den Stecker wieder aus der Dose und schleuderte die Schnur unter dem Bett hervor. Perro bellte so laut, dass ich nicht hören konnte, ob Luis schon in der Wohnung war oder nicht. Ich flitzte ins Bad und wickelte unterwegs die Schnur um das Telefon.
    »Hey! Keiner da?« Er war schon drinnen.
    »Luis? Sind Sie’s? Ich bin hier im Bad«, rief ich.
    Ich schob das Telefon in den Wäschepuff und deckte die Dreckwäsche darüber. Dann sah ich in den Spiegel. Ich pflückte mir ein Hundehaar von der Lippe und hatte gerade noch Zeit, mir ein Handtuch um den Kopf zu schlingen, ehe Luis in der Badtür stand. Er trug jetzt ein Flanellhemd. Die langen Ärmel verhüllten seine schmucken Tätowierungen, aber aus den Manschetten ragten noch je ein Paar Entenfüße hervor. Er inspizierte das Bad. Dann sah er mich an. In seinen Augen lag eisiger Argwohn.
    »Wo ist Raymond?«
    »Er ist mit Bibianna weggegangen.«
    »Was haben Sie hier zu suchen?«
    »Bibianna hat gesagt, ich könnte mir ihren Föhn borgen«, antwortete ich, betend, dass sie einen besaß. Ich sah verstohlen zu dem Wäschepuff hinüber. Eine kleine Kabelschlaufe hing auf der einen Seite heraus. Ich machte einen Schritt zur Seite, um ihm den Blick auf das Ding zu verstellen. »Ich bin gleich fertig.«
    Er starrte mich an. Sein Gesicht war oval, mit vorstehenden Wangenknochen und einem kleinen, spitzen Kinn. Die Zähne waren in gutem Zustand, aber er hatte einen unangenehmen schmalen Mund, den das klägliche Bärtchen noch betonte. Seine dunklen, anliegenden Haare endeten hinten in einem kleinen Schwänzchen, das die Wollmütze bisher verhüllt hatte. Er musste Ende zwanzig sein. »Haben sie was gesagt, wann sie wieder zurück sein wollten?«
    »Ich erzähl’s Ihnen gleich, ja? Ich möchte nur eben noch schnell meine Haare fertig machen«, sagte ich. Ich griff nach der Badezimmertür, um sie zuzumachen, was ihn zwang, einen kleinen Schritt zurückzutreten. Ich schloss die Tür mit Nachdruck, wartete eine halbe Sekunde und riss sie dann wieder auf. Er fuhr verlegen hoch. Er steckte die Daumen in die Gürtelschlaufen und schlenderte lässig in Richtung Wohnzimmer davon.
    »Sehr taktvoll!«, rief ich ihm nach. Dann knallte ich unterstreichungshalber die Tür mit Schwung zu. Ich knipste den Föhn an, legte ihn auf den Klodeckel und ließ ihn laufen, während ich die Schnur ordentlich um das Telefon wickelte, das Ganze sorgsam wieder so im Wäschepuff verstaute, wie ich es gefunden hatte, und die Wäsche darüber drapierte. Nachdem ich den Deckel sorgfältig platziert hatte, nahm ich den heulenden Föhn an mich. Ich beugte mich vornüber und pustete meine hängenden Haare etwa eine Minute mit dem heißen Luftstrahl durch. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich zwar nicht besser aus, aber anders: wie ein Klettenbusch ohne Blätter. Ich knipste den Föhn aus und ging hinüber ins Wohnzimmer.
    Es wurde ein friedlicher Abend. Luis schien weder von einem Übermaß an Intellekt noch von Neugier geplagt, sodass sich die Konversation auf ein Minimum beschränkte. Er saß auf dem Nicht-Hund-Ende der Couch und ich im Sessel. Er stellte den Fernseher an. Er hatte eine sehr begrenzte Konzentrationsspanne und eine geringe Komplexitätstoleranz. Ab und zu bekundete er durch sein Verhalten, dass er sich meiner Gegenwart auf eine durchaus wache Weise bewusst war — eine eigenartige Intensität, nicht offen, aber doch greifbar. Seine sexuelle Ausstrahlung war schwer und schwül, wie der Duft von Orangenblüten an einem feuchtwarmen Sommerabend. Er verfolgte mehrere Sendungen gleichzeitig, indem er per Fernbedienung von einem Kanal zum anderen schaltete. Der Hund starrte mich über alle Auto-Verfolgungsjagden und Konserven-Lachsalven unverwandt an, und wenn ihn mein Blick zufällig streifte, schienen sich seine kleinen Äuglein zu verengen.
    Um zwanzig nach zehn erschienen Raymond und Bibianna mit einem Rieseneimer Hühnerteile aus irgendeinem Kentucky-Fried-Chicken-Schuppen. Inzwischen hatte ich einen solchen Bärenhunger, dass ich fünf Stücke verdrückte und dazu noch ein Pappschälchen Kartoffelpüree mit brauner Soße, ein Näpfchen Kohlsalat, drei missgestaltete Brötchen sowie eine Pastete, deren kaum vorhandene Füllung nicht näher spezifizierbar war. Luis aß mit mir und putzte die letzten Reste weg. Um Mitternacht holte Bibianna mir eine Decke, ein Kopfkissen und ein Nachthemd.

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